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Neidlingen wir zum Präzedenzfall: 19 Bäumen droht die Rodung

Naturschutz Der Streit um 19 Streuobstbäume, die dem Neidlinger Neubaugebiet Schießhütte weichen sollen, liegt derzeit beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim. Die Gemeinde muss warten. Von Peter Dietrich

Betrachtet man die 19 umstrittenen Streuobstbäume aus Sicht der Neidlinger Gemarkungsfläche, sind sie kein allzu „großes Ding“: Beim Neubaugebiet Schießhütte und den davon betroffenen Bäumen geht es um 0,3 Prozent der Fläche. Landespolitisch sieht es hingegen ganz anders aus. Denn der Naturschutzbund (Nabu) hat zu mehr als 40 Fällen, in denen Gemeinden auf bisherigen Streuobstwiesen bauen wollen, Stellungnahmen eingereicht, teils auch Widerspruch.

Die anstehende Entscheidung des VGH in Mannheim, des höchs­ten Verwaltungsgerichts des Landes, werde Signalwirkung haben, ist Bürgermeister Jürgen Ebler überzeugt. „Es geht um einen landesweiten Präzedenzfall“, sagte er auf Nachfrage. Weil das allen Betroffenen bewusst sei, erwarte er die Entscheidung nicht mehr in diesem Jahr. Inzwischen rückt der 1800-Einwohner-Ort am Albrand durch den Präzedenzfall sogar in den Fokus der überregionalen Presse.

 

Es handelt sich um keine Berufung oder Revision, sondern nur um eine Beschwerde.
Jürgen Ebler
Bürgermeister in Neidlingen

 

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte die Rodung der 19 Bäume genehmigt, die Begründung umfasst insgesamt 31 Seiten. Gegen diesen Beschluss hat der Nabu beim VGH in Mannheim Beschwerde eingelegt. „Es handelt sich um keine Berufung oder Revision, sondern nur um eine Beschwerde“, sagt Ebler. Dennoch sind der Gemeinde bis zur Entscheidung die Hände gebunden.

Parallel gibt es noch einen zweiten Vorgang: Im März 2023 hatte das Landratsamt Esslingen die Rodung per Sofortvollzug geneh­migt. Im August bekam die Gemeinde Neidlingen aber Post vom Regierungspräsidium Stuttgart. Als Widerspruchsbehörde prüft das Regierungspräsidium die Genehmigung des Landratsamts Esslingen: Ist sie zu beanstanden, muss sie zurückgenommen werden? Die Gemeinde Neidlingen wurde aufgefordert, dazu eine umfangreiche Stellungnahme abzugeben. Dieses Verfahren ruht aber aktuell bis zur Entscheidung des VGH in Mannheim.

Wie könnte es nun weitergehen? Gibt der VGH in Mannheim der Beschwerde des Nabu statt, sieht es für die Gemeinde Neidlingen schlecht aus. Entscheidet der VGH hingegen für das Vorhaben der Gemeinde, steht als Nächstes die Entscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart an. Es dürfte sich einer höchstrichterlichen Entscheidung wohl eher nicht widersetzen, könnte eventuell weitere ökologische Ausgleichsmaßnahmen fordern, doch das sind nur Vermutungen. Bekäme die Gemeinde Neidlingen eine Genehmigung zur Rodung, dürfte sie diese nur in der Zeit bis 29. Februar 2024 umsetzen. Um Tiere nicht zu gefährden, gilt vom 1. März bis Ende September wieder die Schonzeit. Dann wäre eine Rodung wieder ab 1. Oktober 2024 möglich.

Noch komplizierter wird der Fall, weil auch europäisches Recht hineinspielt. Bis Ende 2022 gab es für Bebauungen am Ortsrand ein beschleunigtes Verfahren, bei dem etwa auf die Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden konnte. Dieses Verfahren wurde auch in Neidlingen angewandt, selbst wenn die dortigen Prüfungen und Gutachten deutlich über das Mindestmaß hinausgingen. Der Nabu verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das im Sommer entschieden habe, dass das beschleunigte Verfahren europarechtlich nicht haltbar sei.

 

Ebler fordert Einzelfallprüfung

Präzedenzfall hin oder her: Was sich Bürgermeister Ebler wünscht, ist eine Einzelfallprüfung. Gerne hätte er die für den Nabu tätige Kanzlei aus Hessen zu einem Gemarkungsspaziergang in Neidlingen begrüßt, sagt er, um sich mit ihr vor Ort ein Bild über die Situation zu machen. Dass in der Vergangenheit Streuobstbestände zu leicht geopfert wurden, räumt er offen ein, plädiert aber aktuell für ein gesundes Augenmaß. Für einen weiteren ökologischen Ausgleich an anderer Stelle, sofern gefordert, hätte Neidlingen genügend Fläche und Möglichkeiten, daran würde das Projekt nicht scheitern. Einen solchen weiteren Ausgleich hatte Ebler dem Nabu in der Vergangenheit bereits direkt angeboten – ohne dass es zu einer Einigung kam.