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Neue Flugroute mit vielen Fragezeichen

Verkehr Nach wie vor vermisst die Initiative „Vereint gegen Fluglärm“ eine Erklärung, warum die Änderung nötig ist. Ein Schreiben lässt Zweifel an der Neutralität des Verkehrsministeriums aufkommen. Von Kai Müller

Die Flugroute „Tedgo neu“ bewegt weiter die Gemüter. Die Initiative „Vereint gegen Fluglärm“ fordert die Rücknahme der Genehmigung. Symbolfoto. Carsten Riedl

Der einjährige Testbetrieb der umstrittenen neuen Flugroute ist zu Ende. Doch „Tedgo neu“ bewegt weiterhin die Gemüter. Betroffen vom zusätzlichen Fluglärm sind unter anderem die Nürtinger Stadtteile Oberensingen und Hardt, sowie Wolfschlugen und Aichtal. Allen voran wird die Initiative „Vereint gegen Fluglärm“ nicht müde darauf hinzuweisen, dass sie die Entscheidung für falsch hält und führt dafür zahlreiche Gründe ins Feld. „Uns geht es nicht um Polarisierung. Wir wollen Klarheit und Transparenz schaffen“, sagt Fritz Eisele stellvertretend für die Initiative. Sachlichkeit steht auch für Rainer Joswig, ehemaliges Mitglied der Transnet-BW-Geschäftsführung und Rolf Keck, Gründer der Initiative aus Wolfschlugen, ganz oben auf der Agenda. Den drei Herren ist eine gewisse Expertise nicht abzusprechen. Sie sind aber selbst auch ein wenig überrascht davon, was ihre Recherchen zutage förderten.

 

Uns geht es nicht um Polarisierung. Wir wollen Klarheit und Transparenz schaffen.
Fritz Eisele
von der Initiative „Vereint gegen Fluglärm“

 

Besonders die durchaus spontane Aufnahme der beiden Gemeinden Deizisau und Altbach als Mitglieder in die Fluglärmkommission (FLK) wirft doch einige Fragen auf. Zur Erinnerung: Das Ja zum Testbetrieb kam Anfang Juli 2022 nur zustande, weil die Neumitglieder beide für Ja stimmten. Sechs Ja, fünf Nein und fünf Enthaltungen lautete damals das knappe Ergebnis. Zuvor war jahrelang auf Neuaufnahmen verzichtet worden. Doch wie kam es eigentlich zur Berufung der beiden Kommunen und welche Rolle spielte dabei das Verkehrsministerium (VM)? Mehr als einen Fingerzeig gibt ein Dokument, das im VM an die Hausspitze, sprich Minister Winfried Hermann, im Februar 2022 weitergeleitet worden war. Dort gibt es den Hinweis: „Auf Grundlage des vorliegenden Vorschlags würde die Gemeinde Deizisau in die FLK berufen werden können. MD wird darum gebeten, nach Vorstellung des Sachverhalts den Bürgermeister von Deizisau zu fragen, ob er erneut einen Antrag stellen will.“ MD steht für Ministerialdirektor. Das Land ging demnach aktiv auf den Rathauschef zu.

Doch warum wurden nur die beiden Kommunen aufgenommen? Auch hierzu gibt es einen Passus im besagten Schreiben: „Um im Zusammenhang mit der Planung des Tedgo-Flugverfahrens am Flughafen Stuttgart die Berufung weiterer Kommunen zu ermöglichen, bedarf es nachvollziehbarer Kriterien, die es als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen, auch unterhalb der Zumut­barkeitsschwelle liegende Lärmwerte zugrunde zu legen.“ Die Initiative hat sich mit diesen Kriterien ausführlich befasst. Deizisau und Altbach wurden demnach aufgenommen, weil der Dauerschallpegel von 60 Dezibel auf 55 reduziert wurde. Herangezogen wurden dabei die Empfehlungen für den Immissionsschutz, die für aktuelle und künftige Baugebiete gelten. Das ist für die Initiative nicht nachvollziehbar: „Die Siedlungsgebiete sowie denkbare neue Baugebiete befinden sich außerhalb des 55-Dezibel-Bereichs“, sagt Joswig. Von Werten darüber sei nur das Kraftwerksgelände Altbach/Deizisau betroffen. „Das Kriterium der Bauleitplanung entbehrt jeglicher Realität“, lautet daher Joswigs Fazit. Die Wortwahl im VM-Schreiben „sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen“, ist möglicherweise ungeschickt formuliert. Warum aber nur „scheinen“ und nicht „sind“?

Eigenwillige Kommunikation

Die Bürgerinitiative „Verkehrslärm gegen Fluglärm“ hat, mit Thomas Würtenberger, einen Fach­anwalt für Verwaltungsrecht zurate gezogen. In einem Brief an den Verkehrsminister und Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird dieser deutlich. „Wenn dieser Sachverhalt zutrifft, dann ist dieses Vorgehen aus unserer Sicht weder transparent noch nachvollziehbar.“ Es hinterlasse vielmehr den „bösen Schein“ der möglichen bewussten Änderung der Zusammensetzung der Fluglärmkommission, um deren Abstimmungsergebnis zu beeinflussen.

Die Zusammensetzung der Fluglärmkommission hat auch den FDP-Landtagsabgeordneten Dennis Birnstock im August 2023 zu einer kleinen Anfrage an Winfried Hermann veranlasst. Er wollte wissen, auf welche Initiative hin die Berufung der beiden Kommunen erfolgt sei. Kein Wort verliert der Verkehrsminister in seiner Antwort aber darüber, dass man selbst Deizisau dazu animiert hat, einen erneuten Antrag zu stellen. Dass Altbachs Bürgermeister Martin Funk am 29. Oktober 2021 einen solchen gestellt hat, wird aber erwähnt. Birnstock will das nicht auf sich beruhen lassen „Die neue Flugroute Tedgo neu war und ist mit vielen Fragezeichen versehen. Die Landesregierung und ihr Verkehrsminister haben sich zu oft in die Position des nicht Verantwortlichen und nicht Wissenden versetzt und blieben Erklärungen schuldig“, teilt er mit. Weder die Erweiterung der Fluglärmkommission sei nachvollziehbar kommuniziert worden, noch die grundlegenden Kriterien, die über einen Erfolg oder Misserfolg des Probebetriebs entscheiden sollen. „Dass sogar Fragen, die ich als Abgeordneter gestellt habe, vom Verkehrsminister unbeantwortet blieben, obwohl es interne Vermerke dazu gab, ist schon sehr bezeichnend.“ Es spreche immer mehr dafür, dass das ganze Vorgehen des Verkehrsministeriums im Zusammenhang mit der neuen Flugroute aufgearbeitet werden muss.

Ministerium gibt sich neutral

Was sagt eigentlich das Ministerium dazu? „Das Land hat keinerlei Interesse daran, mithilfe einer Erweiterung der FLK einer bestimmten Position zum Erfolg zu verhelfen“, teilt Pressesprecher Edgar Neumann auf Anfrage mit. Die Forderung nach einer Aufnahme weiterer Kommunen sei ergebnisoffen, das heißt ohne Ansehen der einzelnen Kommunen geprüft worden. Das Verkehrsministerium weist darauf hin, dass mit der neuen Flugroute die Belastung durch Fluglärm in einem Gebiet insgesamt verringert und gleichzeitig die geflogene Strecke verkürzt werden soll, um damit auf diese Weise Kohlenstoffdioxid und Kerosin einzusparen. „Ob diese Ziele erreicht werden konnten, bleibt der abschließenden Bewertung der FLK überlassen“, heißt es weiter Für die Initiative gegen Fluglärm hat sich mit dem Accon-Gutachten das Thema Lärm erledigt. „Die bisher stark belasteten Bürger werden nicht spürbar entlastet, dafür werden zusätzlich 40 000 Bürger mit deutlich höherem Lärmaufkommen belastet“, heißt es in einem Papier. Dass nach einem einjährigen Probebetrieb nun die Fluggesellschaften die Kerosineinsparung dokumentieren sollen, ohne dass vorher Kriterien festgelegt wurden, ist für die Gegner der neuen Flug­route völlig unverständlich.

Wohin der Weg führt? Die Sitzung der Fluglärmkommission am 6. Mai, wieder hinter verschlossenen Türen, wird es weisen. „Über das Abstimmungsverhalten des Landes in der Sitzung ist noch nicht entschieden“, teilt das Ministerium mit. Im Juli 2022 hatte sich der Vertreter des Landes noch enthalten. An der Entscheidung, die beiden Kommunen in die FLK aufzunehmen, hegt das Ministerium keinen Zweifel: „Wir sehen keinen Anlass, die Kriterien zur Berufung von Kommunen in die FLK zu widerrufen.“ Die Frage, warum man sich aktiv an Deizisau gewandt habe, beantwortet das Ministerium nur in Verbund mit den anderen Fragen. Auf Nachfrage teilt man mit, dass man die Kriterien „ausführlich beschrieben habe“ und weiter: „Dem ist nichts hinzuzufügen.“ Joswig, Eisele, Keck und die Initiative werden weitermachen. Sie fordern weiterhin, die Rücknahme der Genehmigung für Tedgo neu oder „eine glaubwürdige Erklärung“, warum diese Route überhaupt erforderlich ist.