Eigentlich befindet sich Neidlingen gerade im Ausnahmezustand: Es ist Kirschenzeit im Streuobstparadies. Trotzdem beteiligten sich am vergangenen Samstag rund 40 Einwohner am Bürgerworkshop zur künftigen Gestaltung ihrer Gemeinde am Albtrauf. Bürgermeister Jürgen Ebler zeigte sich dementsprechend begeistert: „Das Engagement in der Bevölkerung ist großartig. Man will im Dorf was voranbringen.“ Das Ziel der Gemeindeentwicklung steht fest, die Jürgen Ebler präzisiert: „Neidlingen muss für junge Familien als Lebensraum attraktiver werden.“
Zur Unterstützung für den Bürgerworkshop engagierte der Bürgermeister zwei Projektleiter der LBBW Kommunalentwicklung. Tanja Hetterich und Matthias Weikert moderierten die Ideensammlung in der Reußensteinhalle. In drei Teams besprachen Bürger und Vertreter des Gemeinderates gemeinsam Themen, wie etwa Lebensqualität, Wohnen in Neidlingen und die Gestaltung der Ortsmitte.
Während der Gruppenarbeit stellte sich heraus, dass es in Neidlingen immer noch 50 leerstehende Häuser gibt. „Oft sind es Gebäude, die aus alten Bauernhöfen entstanden sind und vererbt wurden“, erklärt Jürgen Ebler. Die Nachkommen leben jedoch nicht in Neidlingen und haben auch keinen Bezug mehr zum Dorf, bedauert der Bürgermeister. "Ich treibe die Vorarbeit meines Vorgängers zwar weiter, um die Grundstücke eins nach dem andern zu erwerben, aber wenn es pro Jahr einen Kaufvertrag gibt, ist das schon viel." Ein Impuls aus dem Workshop überraschte und freute ihn gleichermaßen: "Am Seebach, wo fünf marode Seldnerhäuser abgerissen wurden, gibt es eine freie Fläche. Da kam auch aus der Bevölkerung nun der Vorschlag, dort Tiny Häuser aufzustellen." Am Seebach waren früher sozial schwache Menschen in Armenhäusern, den sogenannte Seldnerhäusern untergebracht.
Ein weiterer Vorschlag für die Attraktivität im Ort dürfte vor allem Kinder interessieren: Aus den Bürgerreihen entstand die Idee, im Ort eine Wasserspielstraße zu realisieren. Gruppensprecher stellten im Anschluss an die Teamarbeit, die Wünsche und Ideen anhand von Zetteln direkt auf der Ortskarte vor. Dabei stellte sich heraus, dass den Bürgern Arzneimittelversorgung genauso am Herzen liegt, wie die Optimierung der Parksituation im Ort. Eine andere Gruppe will den Tourismus in der Albtraufgemeinde stärken und Neidlingen für Urlauber zum Erlebnis werden lassen. Auch die Gemeinschaft im Ort steht bei den Neidlingern im Fokus. Dazu soll es verschiedene Treffpunkte, wie etwa ein Ortszentrum mit Kiosk sowie ein Backhaus geben.
Kritisch beäugt wurde der Wunsch nach einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf der Durchfahrtstrasse. Bürgermeister Jürgen Ebler ist optimistisch: "Wenn wir das Radnetz ausbauen und Radwege auf der Straße markieren, verlangsamt sich der Verkehr im Ort automatisch. "Aus der dritten Gruppe tauchte der Wunsch nach einer besseren Anbindung an das ÖPNV-Netz auf, so dass es einen durchgängigen Omnibus von Kirchheim nach Neidlingen – ohne Umsteigen in Weilheim – geben soll. Für die alte Schule lieferten die Workshopteilnehmer eine Idee für die gemeinnützige Umgestaltung: Das Gebäude könnte künftig als Begegnungsstätte und als Verkaufsstelle für Neidlinger Erzeugnisse genutzt werden.
Die Projektleiterin Tanja Hetterich und ihr Kollege Matthias Weikert zeigten sich, gemeinsam mit Jürgen Ebler, fasziniert vom Ergebnis des Workshops. Seit knapp 120 Tagen ist Jürgen Ebler als Neidlinger Bürgermeister im Amt und fühlt sich in seiner Wahrnehmung bestätigt: "Das Dorfleben ist intakt. Trotz der Kirschenzeit nahmen sich viele Bürger die Zeit, an der Weiterentwicklung unserer Gemeinde mitzuarbeiten." Tanja Hetterich und Matthias Weikert von der LBBW Kommunalentwicklung erstellen aus den erarbeiteten Vorschlägen einen Bericht, der danach ans Regierungspräsidium übermittelt wird. Dieses prüft dann, ob Neidlingen in das Förderprogramm der städtebaulichen Entwicklung aufgenommen wird und damit Fördergelder beantragen kann.
Matthias Weikert warnte vor möglichen Illusionen über eine rasche Realisierung der Wünsche und Ideen. "Der Vorgang nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und wird sich vermutlich ins kommende Jahr ziehen, bevor wir eine Entscheidung bekommen." Im weiteren Verlauf des Samstagnachmittags war die Neidlinger Bevölkerung zu einer Informationsveranstaltung über ein mögliches Nahwärmenetz mit Hackschnitzeln eingeladen.