Er verwaltet das „Gedächtnis des Landkreises“ und wohnt seit 2003 sogar in Bissingen. Wer wäre geeigneter als Manfred Waßner, die Chronik zum 1 250. Jahrestag der urkundlichen Ersterwähnung der Gemeinde im Jahr 769 im Lorscher Codex zu verfassen. „Es schadet nicht, wenn man Erfahrung hat“, sagt der Kreisarchivar bescheiden. Und er vergisst auch nicht, zu erwähnen, dass es bereits zwei Gemeindechroniken gibt, die ihm gute Dienste erwiesen haben. Denn vieles, was dort bereits erwähnt wurde, brauchte er nur noch anzureißen. „Der Brand 1665, als nach einem Blitzeinschlag 28 Gebäude zerstört wurden, wurde schon von meinen Kollegen gut aufgearbeitet“, nennt er ein Beispiel.
Andererseits konnte er auch nicht alles verwenden. „Damals ist nicht unbedingt wissenschaftlich gearbeitet worden, daher fehlen für viele Angaben Belege.“ Außerdem ist nach der Fertigstellung der bislang jüngsten Chronik im Jahr 1972 noch einiges passiert, das die Entstehungsgeschichte Bissingens in einem neuen Licht erscheinen lässt. Der spektakuläre Fund des alemannischen Herrengrabes mit dem Goldblatt-Kreuz im Jahr 2015 zeigt, dass es wohl mehrere Siedlungskerne gab. Zu den Bissinger Geheimnissen gehört es auch, dass es später zwei Pfarrkirchen im Ort gab. „Warum, das weiß man bis heute nicht“, sagt Historiker Waßner. Eine weitere Besonderheit des Ortes sind die zwei nachgewiesenen Keltern, die zur Gewinnung von Obstsäften als auch von Wein dienten. Eine davon gehörte definitiv zum Kloster Sankt Peter.
Überhaupt muss die Rolle des Klosters muss nach der Arbeit von Manfred Waßner völlig neu bewertet werden. Das Schwarzwaldkloster unterhielt in Bissingen eine Propstei, also eine Art Filiale. „Dieser Teil der Geschichte wurde eher vernachlässigt, weil er vor der evangelisch geprägten Zeit des württembergischen Königshauses lag“, sagt Waßner. Auch die Legende, dass der letzte Pfleger des Klosters Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Kasse nach Böhmen abgehauen war, konnte Waßner widerlegen.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Gemeinde Bissingen reich gewesen sein muss. Denn die Fläche, die zum Teil vom Kloster Kirchheim abgekauft wurde, ist relativ groß. „Vermutlich stammte ein Großteil des Reichtums aus dem Weinbau, damit konnte man damals viel Geld verdienen“, erklärt Waßner. Auch die Tatsache, dass Bissingen noch einen See hat, während die zahlreichen Binnengewässer in den Nachbargemeinden trockengelegt wurden, könnte mit dem Reichtum der Gemeinde zusammenhängen.
Die Ergebnisse waren teilweise so interessant, dass der Auftraggeber in Person von Bissingens Bürgermeister Marcel Musolf ein Einsehen hatte und die Erhöhung des geplanten Seitenumfangs und der damit verbundenen Druckkosten genehmigte. „Bei so viel wissenschaftlichen Neuigkeiten kann es nicht sein, dass es am Geld scheitert, wenn es noch um überschaubare Beträge geht“, sagt Marcel Musolf und fügt hinzu: „Sonst ärgern wir uns.“ Insgesamt 352 Seiten sind es geworden. „Der Umfang ist völlig angemessen“, befindet der Profi-Archivar. „Wir sind aber insgesamt im Kostenrahmen geblieben“, fügt er noch hinzu. Für die Quellen reiste Waßner in seiner Freizeit von Wien bis Karlsruhe und stattete dem Bissinger Gemeindearchiv einen Besuch ab. Warum Wien? Eine Zeit lang gehörte Bissingen zu Österreich - noch so eine Kuriosität der Geschichte.
Für die jüngere Bissinger Historie kommen auch Zeitzeugen zu Wort. „Das ist aber immer eine Gratwanderung“, sagt der Historiker, denn die Erinnerung vermischt manchmal tatsächlich Erlebtes mit Gehörtem. Deshalb habe man aus den Interviews Porträts der Anwohner gemacht. So hat der Bissinger Heinz Wagner sein Bildarchiv mit Aufnahmen aus dem 19. Jahrhundert zur Verfügung gestellt, das gleichermaßen für Begeisterung als auch Verzweiflung bei Historiker Waßner gesorgt hat, denn der Platz reichte bei Weitem nicht, um dem Bildmaterial gerecht zu werden. Doch auch dafür hat er eine Lösung gefunden: „Wir werden dazu noch ein eigenes Buch herausbringen“, verspricht er.