Es brandete Jubel in der Aula der Bodelschwinghschule auf, nachdem die Lampen wieder angingen. Doch auch wenn der Stromausfall in Nürtingen die Pläne ein wenig durcheinanderbrachte und die Festgäste lange Zeit in einer ziemlich dunklen Aula saßen, änderte es nichts daran, dass der Tag ein Freudentag für Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte war. Auch die anwesenden Kommunalpolitiker zeigten sich angetan vom neuen Erscheinungsbild der Schule. „Eine gute und qualitätsvolle Bildung und Betreuung ist speziell für Kinder mit besonderem Förderungsbedarf der wichtigste Grundbaustein, um an der Gesellschaft und später auch am Arbeitsleben teilhaben zu können.“, sagte Landrat Heinz Eininger bei der offiziellen Wiedereröffnung des Schulkomplexes in Nürtingen. Der Landkreis hat kräftig in die Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Behinderung investiert. Insgesamt waren es 22,35 Millionen Euro. Die Landesförderung beträgt 7,2 Millionen Euro. Der Bau sei sehr herausfordernd gewesen, der Schulbetrieb sei weitergelaufen. Während der zweieinhalbjährigen Bauzeit wurde in Containern bei der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule unterrichtet. Doch das ist nun Geschichte: „Es ist ein Ort zum Lernen und Leben entstanden“, sagte Eininger über den neuen Gebäudekomplex.
Dass dieser Ort aus unterschiedlichen Stoffen besteht, machte Katrin Kussina deutlich. Die Architektin vom Büro Fritzen 28 aus Esslingen hatte mit ihrem Sohn Anton die Bauleitung inne. In der Schule hätten unter anderem 177 408 Mauersteine eine erfüllende Bestimmung gesucht und diese nun auch gefunden. 35 ausführende Firmen hätten sich an dem Großprojekt beteiligt, 40 Handwerker seien pro Tag auf der Baustelle gewesen. Um auch den Kindern und Pädagogen eine Freude zu machen, versprach Kussina einen Eiswagen vorbeizuschicken, was natürlich viel Beifall auslöste.
Breites Maß an Orientierung
„Für alle war alles neu“, beschrieb Schulleiter Stefan Track die ersten Schultage nach den Sommerferien. Das Bauwerk überzeuge nicht nur in der ästhetischen Gestaltung innen und außen. Zur Verfügung stehen für die derzeit etwas mehr als 180 Schülerinnen und Schülern in den unterschiedlichen Gebäuden 21 Klassenzimmer, 13 Gruppenräume, mehrere Werkstätten, Lehrküchen und Bereiche für textiles Arbeiten. Track lobte unter anderem die größere Sporthalle und die 13 Differenzierungsräume, ergänzte dies aber um den Nebensatz „wenn wir ausreichend mit Personal ausgestattet sind“. Die Lern- und Arbeitsbereiche in den Fluren seien „einzigartig“: „Bei uns haben Schülerinnen und Schüler schon immer gern auf den Gängen gearbeitet.“ Das Haus biete insgesamt ein „breites Maß an Orientierung“. Ausdrücklich bedankte sich Track bei der „Flexibilität und der Kreativität“ des Kollegiums. Das löste fast noch mehr Applaus aus als später der wiederhergestellte Strom. Zwar seien immer noch nicht alle Arbeiten vollständig abgeschlossen. „Aber es geht voran“, resümierte der Schulleiter.
Beim anschließenden Rundgang konnten sich dann alle Besucher selbst ein Bild von den Gebäuden mit ihren Außenflächen machen. Komplett neu ist auch der Gebäudeteil der Schulkindergärten. Dieser bietet insgesamt Platz für sechs Kindergartengruppen – auch der Regenbogenkindergarten mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung aus Köngen wird hier künftig ein neues Zuhause finden. „Wir haben jetzt sehr viel Bewegungsfläche“, sagt Marion Penka, die Leiterin des Kindergartens mit Förderbedarf körperlich-motorische Entwicklung. Sonja Keinrad, Leiterin des Regenbogenkindergartens, sieht es ähnlich: „Die Bewegungsräume sind richtig toll.“ Das Manko noch derzeit: Die Suche nach Personal gestalte sich wie anderswo auch schwierig.
Doch nicht nur dort stießen die Räume auf einhellige Begeisterung, auch vor den Zimmern der Klassen 7 bis 9 hatte der eine oder andere sofort Lust, die futuristisch anmutenden Sofas im Flur zu testen. „Das kommt gut an“, erzählte Track. Klar, ein wenig rumhängen schadet nie in der Pubertät. Der weiche Boden hat noch einen anderen Vorteil. „Wenn ein I-Pad runterfällt, geht es nicht kaputt“, sagte Bauleiter Anton Kussina lachend. In den anderen Fluren befinden sich ebenfalls auf dem Boden liegende Sitzkissen oder es wurden sogar komplette Sitznischen eingebaut. „Einer meiner Viertklässler hat ADHS und hält sich dort sehr gern auf“, erzählt Track. In den Klassenzimmern habe man ganz bewusst auf Smartboards verzichtet. „Es gibt Beamer. Aber das haptische Lernen ist für unsere Schülerinnen und Schüler essenziell“, ergänzte der Schulleiter beim Rundgang. Auch eine Kletter- sowie eine Chillhöhle gehören zur Ausstattung.
Viel Wert auf Nachhaltigkeit
Viele Aahs und Oohs gab es auch beim Besuch der neuen Sporthalle, die komplett mit Holz verkleidet ist, das den Lärm regelrecht verschluckt. „Für einen unserer Schüler ist das der absolute Lieblingsort“, ergänzte Track. Er sei weniger zum Sporttreiben dort, sondern einfach nur da, weil es dort ruhig sei und er das Holz möge. Beim Bauen ist laut Landratsamt auch sehr viel Wert auf das Thema Nachhaltigkeit gelegt worden. Wärme und Strom kommen von einem Blockheizkraftwerk und einer Photovoltaikanlage. In den Sommermonaten soll ein sogenanntes Rückkühlwerk die Temperatur regeln. Auch Johannes Fridrich ist angetan vom Bauwerk. „Es ist ein Leuchtturmprojekt“, sagte Nürtingens Oberbürgermeister. Er sei da dem Landkreis sehr dankbar. Der Gebäudekomplex liefere perfekte Rahmenbedingungen, damit die Schülerinnen und Schüler ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen könnten. Man sei da „am Puls der Zeit, in den Räumen der Zeit“.
Der Puls wird im Sommer nächsten Jahres noch ein wenig höher schlagen: Dann soll auch die Sanierung des Therapiebads abgeschlossen sein. Kostenpunkt: rund 2,1 Millionen Euro.
Auf die Schüler folgen wahrscheinlich Geflüchtete
Was passiert mit den Containern vor der Nürtinger Philipp-Matthäus-Hahn-Schule, jetzt, wo die Bodelschwingh-Schüler ihr neues Gebäude in Besitz genommen haben? Im Newsletter der „Bürgerinitiative Kirchheimer Vorstadt“ war ein offener Brief an Landrat Heinz Eininger und Oberbürgermeister Johannes Fridrich abgedruckt. Darin steht zu lesen, der Steuerungskreis der Bürgerinitiative habe aus verschiedenen Quellen erfahren, dass in diesen Containern geflüchtete Menschen untergebracht werden sollen. Die Verfasser zeigen sich verwundert, dass die Bevölkerung in der Vorstadt bisher weder vom Landkreis noch von der Stadt informiert wurde.
Bereits im Jahr 2013 wurde auf dem Parkplatz der Berufsschule ein Containerdorf für Geflüchtete auf- und 2018 wieder abgebaut. Dieses sei wegen Lärm und Drogenhandels in unguter Erinnerung. Deshalb wird in dem Brief gefordert, die Bürger der Kirchheimer Vorstadt zu informieren, was auf dem Gelände geplant ist, wie viele Menschen dort untergebracht werden sollen und wie die Anlagen gestaltet werden. Zum einen, um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten, zum anderen wegen der Außenwirkung. Die Initiative stehe für Gespräche zu diesen Themen zur Verfügung.
Andrea Wangner, Pressesprecherin des Landratsamtes, bestätigte die Pläne, in den Schulcontainern Geflüchtete unterzubringen: „Es gibt Planungen, am Containerstandort auf dem Parkplatz der PMHS Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung des Landkreises unterzubringen. Nach ersten Überlegungen können dort bis zu etwa 130 Flüchtlinge unterkommen.“ Eine konkrete Planung liege aber noch nicht vor. Die Unterbringung könnte im Frühjahr kommenden Jahres realisiert werden, so eine erste Prognose. Sobald die Rahmendaten konkret feststehen, informiere der Landkreis zusammen mit der Stadt Nürtingen darüber. gos