Beim Auslösen der Jakobsmuscheln aus den Schalen schaut Sternekoch Marco Akuzun skeptisch. Vorsichtig öffnet er die gerippten Hüllen. Dann trennt er die Delikatesse heraus, die aus schottischen Meerestiefen stammt. „Die Größe passt nicht ganz“, urteilt der Küchenchef und Geschäftsführer des Restaurants Top Air in Stuttgart. Schon bei den Produkten, die er verarbeitet, ist der 37-Jährige Perfektionist. Spontan greift er zum Telefon, sucht mit dem Händler nach Lösungen. Der sichert ihm zu, dass nachgeliefert wird. Akuzun will für seine Gäste das Beste.
Was die hohe Qualität der Zutaten angeht, lässt ihm der Unternehmer Claus Wöllhaf, zu dessen Gastronomie das Top Air gehört, freie Hand. Solchen Spielraum genießt der Sternekoch, der von seinen selbstständigen Kollegen nur zu gut weiß, dass in der Spitzengastronomie die Gewinnspannen begrenzt sind. Das Stuttgarter Restaurant am Flughafen profitiert von Akuzuns Erfolgen. Im Gourmetführer Gusto hat er 8,5 Pfannen erkocht, bei Gault Millau 16 Punkte. Auf diesen Lorbeeren ruht sich Akuzun aber nicht aus. Er sucht immer neue Herausforderungen. Weil die internationale Perspektive seine Kochkunst prägt, lud ihn die Deutsche Botschaft in Guatemala im Oktober 2018 am Tag der Deutschen Einheit als Gastkoch ein. Solche Einladungen sind für den Sternekoch nicht nur ein Privileg. „Da bringe ich viele neue Anregungen mit.“
Akuzun ist nicht nur Koch, sondern Künstler. Bei seinen Kreationen legt er großen Wert auf die Optik. An der Wand der Küche im Terminal 1 des Stuttgarter Flughafens hängen die Abbildungen der kulinarischen Meisterwerke - kleinteilige Kreationen mit Blüten und verblüffenden Farbkombinationen. „Mit diesen Vorlagen hat es mein Team leichter, die einzelnen Gänge der Menüs zu gestalten.“
Wenn abends die Gäste kommen, sitzt jeder Handgriff. Denn da ist die Zeit knapp, weiß der strenge Küchenchef. Aber er weiß auch, sein Team zu motivieren. Wenn in der Küche viel los ist, wirkt der disziplinierte Sternekoch so leidenschaftlich wie ein Fußballtrainer.
Wie lässt sich das Tempo angesichts der Qualität der Sterneküche halten? „Wir bereiten vieles vor, wenn es ruhiger ist.“ Da lässt er seine Kollegen auch an eigenen Kreationen tüfteln. Akuzun ist ein Chef, der seinen Mitarbeitern Raum lässt, sich zu entwickeln. „Wichtig ist, dass wir ihn mit unseren Kreationen überzeugen“, findet Patissier Sandro Kern, den die sportliche Herausforderung reizt. Er steht im hinteren Teil der Küche, kreiert zum Beispiel sommerliche Gelees. Der junge Experte für süße Genüsse ist glücklich, in Akuzun einen anspruchsvollen, konstruktiven Kritiker zu haben.
Die Arbeit mit dem erfolgreichen Küchenchef, der schon in seinem ersten Jahr als Chef des Top Air den Stern seiner Vorgänger hielt und zugleich neue Akzente setzte, genießen auch die jungen Köche. Julia Schnurr und Maximilian Küchle stehen am Anfang ihrer Laufbahn. Sie baut Akuzun behutsam auf. Aber der Sternekoch fordert auch Selbstständigkeit, kitzelt Experimentierfreude heraus. Das Handwerk muss sitzen. In der Sterneküche ist selbst das hauchdünne Schneiden des Gemüses eine Kunst.
Obwohl Akuzuns Küche international ausgerichtet ist, ist auch Regionales auf der Karte zu finden, genauso wie klassisches Gemüse, beispielsweise Erbsen. „Es kommt auf die Vielfalt der Zubereitung an.“ Langustine kombiniert er zum Beispiel mit Holunderblüte, wildem Spargel, Aprikose, Sellerie und Pfeffer aus Tasmanien.
Wenn die Gäste kommen, zählen Schnelligkeit und Flexibilität. „Wir müssen auch auf Sonderwünsche reagieren“, sagt Nadine Akuzun, Ehefrau des Sternekochs und Serviceleiterin des Top Air. Dabei findet die junge Frau zu erfahrenen Gourmets ebenso einen Draht wie zu jungen Leuten, die monatelang sparen, um sich mal einen Abend im Sternerestaurant zu gönnen.
Unterstützt wird Nadine Akuzun von Ralf Pinzenscham, einem der laut Schlemmeratlas besten Weinexperten in Deutschland. 400 Weine stehen im Top Air zur Auswahl. Seine Stärke: Als Organisator behält er selbst dann einen kühlen Kopf, wenn alle Gäste gleichzeitig kommen. Wenn er die Gäste bei der Weinauswahl berät, strahlt er nur noch Ruhe aus.
Wenn der letzte Gang serviert ist, nimmt sich der Chef Zeit, um mit den Gästen zu sprechen. Dass er zudem eine große Fangemeinde hat, die die Menüs auf Facebook oder Instagram postet, freut den Sternekoch. „Solches Feedback ist für uns am schönsten“, findet der vielfach ausgezeichnete Kochkünstler. Nach Preisen und Sternen zu schielen, hat für ihn nicht die oberste Priorität.
Info: Das Sternerestaurant Top Air auf dem Flughafen hat dienstags ab 19 Uhr geöffnet, mittwochs bis freitags von 12 bis 13.30 sowie ab 19 Uhr und samstags von 18 bis 21 Uhr. Das Lokal im Terminal 1 öffnet ab dem 6. August erstmals in den Sommerferien. Reservierung: 07 11/9 48 21 37; www.restaurant-top-air.de