Der Tag nach den schrecklichen Ereignissen im Notzinger Ortsteil Wellingen ist keiner wie jeder andere. Am Mittwochabend war gegen 18 Uhr ein im Ortsteil lebender 60-Jähriger in der Notzinger Straße zwischen der Einfahrt Haldenberg und der Bushaltestelle Wellinger Kirchle zunächst aus seiner Hofeinfahrt auf die Notzinger Straße gefahren, um in Richtung Notzingen weiterzufahren. Allerdings erfasste er dabei auf dem Gehweg zwei 43- und 44-jährige Männer von hinten, die ebenso in Richtung Notzingen unterwegs waren und verletzte sie dabei lebensgefährlich. Der Verursacher, der von der Polizei als psychisch auffällig und zu dem Zeitpunkt als augenscheinlich verwirrt beschrieben wird, setzte seine Fahrt trotzdem fort und touchierte kurze Zeit später drei etwas oberhalb des Friedhofs geparkte Fahrzeuge, die durch die Wucht des Aufpralls wiederum auf zwei weitere geschoben wurden. Beim Versuch, die zweite Unfallstelle zu Fuß zu verlassen, wurde er von einem Augenzeugen bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten.
Nachbarn leisten erste Hilfe
Notzingens Kämmerer Sven Kebache gehört zu den Nachbarn des Verursachers, und war so gemeinsam mit einigen weiteren direkt bei den beiden Schwerverletzten vor Ort, um bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erste Hilfe zu leisten. Am Tag danach ist ihm beim Telefongespräch das Erlebte noch deutlich anzuhören. Das müsse man erstmal verarbeiten, sagt Kebache. Als es passierte, saß er gerade auf seiner Terrasse, als er plötzlich einen „dumpfen Knall und einen Aufschrei“ hörte. Seine Frau, die gerade nach Hause kam, rief ihn nach draußen vor die Tür. Dort bot sich ihm ein chaotisches Bild, schildert Kebache seine ersten Eindrücke. „Ich habe zwei Schwerverletzten auf dem Boden liegen sehen. Da war viel Blut. Das war alles sehr schockierend. Ich kenne beide. Sie waren bei Bewusstsein und zumindest einer von ihnen auch einigermaßen ansprechbar. Ich habe wie andere Nachbarn auch erstmal schnell den Verbandskasten geholt. Wir haben dann gemeinsam so gut es ging versucht, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Nachdem man sich einigermaßen sortiert hat, funktioniert man erstmal“, erzählt Sven Kebache. Eine andere Nachbarin, die gerade wegfahren wollte, als es passierte, habe alles mit ansehen müssen. Als der erste Krankenwagen kam, habe er erstmal kurz Luft geholt und dann Bürgermeister Sven Haumacher angerufen, der seinerseits ebenfalls zu den beiden nicht weit auseinander liegenden Einsatzorten eilte. „Der Fahrer ist ein Nachbar von mir. Dass er schon psychische Probleme hatte, ist mir bekannt, aber ich hatte nie das Gefühl, dass so etwas passieren könnte. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen, es war ein normales nachbarschaftliches Verhältnis. Das macht einen daher einfach nur fassungslos“, sagt Kebache. An einen Unfall glaubt er angesichts des gesamten Verlaufs der Geschehnisse nicht: „In welcher psychischen Ausnahmesituation er sich zu dem Zeitpunkt befunden hat, weiß ich aber natürlich nicht.“
Verletzte außer Lebensgefahr
Nach der notärztlichen Erstversorgung wurden die beiden Schwerverletzten vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gefahren, beziehungsweise mit dem Rettungshubschrauber in eine Klinik geflogen. Laut aktueller Informationen des Polizeipräsidiums Reutlingen sind beide Männer mittlerweile außer Lebensgefahr.
Der Schock sitze auch am Tag danach noch tief, sagt Sven Kebache. Es sei im Ort und auch unter den Kolleginnen und Kollegen im Rathaus das Hauptthema: „Es besteht bei allen, gerade auch unter uns Nachbarn ein großer Redebedarf.“ Unmittelbar nach dem Geschehen seien auch Seelsorger der Rettungskräfte vor Ort gewesen. Die Nachricht seitens der Polizei am Tag danach, dass die beiden Schwerverletzten außer Lebensgefahr seien, sei erstmal eine große Erleichterung. „Natürlich kann man jetzt nur hoffen, dass sie es vollends gut und ohne Folgen überstehen“, so Kebache. Das beschäftige einen natürlich. „Wenn so etwas plötzlich vor der eigenen Haustüre passiert, was man sonst nur aus den Nachrichten kennt. Und man dann auch noch alle Beteiligten kennt, dann hat das eine andere Dimension. Da kaut man eine ganze Weile daran.“
Die Notzinger Feuerwehr wurde laut Kommandant Benjamin Lay um 18.12 Uhr alarmiert, zu dem Zeitpunkt sei die Polizei und der Rettungsdienst schon vor Ort gewesen. „Uns wurde zunächst ein Verkehrsunfall gemeldet, das hieß für uns: Die betroffenen Fahrzeuge absichern, für den Brandschutz sorgen, die auslaufenden Betriebsstoffe abbinden und die Straße sperren. Da wussten wir noch nicht, was wenige hundert Meter weiter oben genau los ist und dass die Ereignisse zusammengehören“, so Lay. Nach und nach habe sich dann die Dimension des Ganzen dargestellt. Letztlich sei die Notzinger Feuerwehr mit drei Fahrzeugen und 18 Einsatzkräften vor Ort gewesen. Auch der stellvertretende Kreisbrandmeister Andreas Reeh sei gekommen. „Der Dienst war für die letzten fünf von uns um 1.45 Uhr in der Nacht beendet, da konnte die Notzinger Straße auch wieder freigegeben werden.“ Auch der Kommandant bestätigt, dass man einen solchen Einsatz im eigenen Ort mit bekannten Beteiligten nicht so einfach abhaken könne: „Das ist eine sehr bedrückende Situation.“ Hilfreich sei hier die psychosoziale Notfallversorgung, die bei Bedarf für die Einsatzkräfte, die Augenzeugen oder auch die Angehörigen zur Verfügung stehe.

Das betont auch Bürgermeister Sven Haumacher, der die Situation am Mittwochabend ebenfalls als sehr „heftig“ schildert. Er sei erst unten bei den zerstörten Autos gewesen, als der Verursacher „bereits von der Polizei fixiert auf dem Boden lag“ und dann zur anderen Einsatzstelle bei den Schwerverletzten weiter oben dazugekommen. „Das war wirklich gut, dass so viele Nachbarn schnell reagiert und Erste Hilfe geleistet haben“, so Haumacher, „das war letztlich ein Großaufgebot an Einsatzkräften inklusive Hubschrauber. Das sah aus wie im Film“, schildert der Bürgermeister die Szenerie. Was das traditionelle Dätscherfest am kommenden Wochenende angehe, sei man im Austausch mit dem Musikverein, erklärt er auf Nachfrage. Pressereferentin Marina Vollmer vom ausrichtenden Musikverein erklärt, alle seien natürlich tief bestürzt über die Ereignisse. „Das Fest wird wie geplant stattfinden, allerdings werden die Sicherheitsvorkehrungen in Abstimmung mit der Polizei am Kelterplatz erhöht und wir werden für unseren Festzug, der eigentlich am Wellinger Backhäusle startet und dann genau an den Orten des Geschehens vorbei auf der Notzinger Straße nach unten in den Ort zum Kelterplatz führen würde, aus Pietätsgründen eine neue Route suchen.“
Tat möglicherweise Absicht
Aktuell ermitteln die Staatsanwaltschaft Stuttgart und die Kriminalpolizeidirektion Esslingen wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und des versuchten Tötungsdelikts gegen den 60 Jahre alten Fahrer. Ersten Erkenntnissen zufolge soll er, mutmaßlich in einem psychischen Ausnahmezustand, die beiden Fußgänger auf dem Gehweg möglicherweise absichtlich angefahren haben. Die bisherigen Ermittlungen ergaben, dass zwischen dem Tatverdächtigen und den zwei Verletzten keinerlei Vorbeziehungen bestanden. Beide Fußgänger wurden mit zunächst lebensbedrohlichen Verletzungen in Krankenhäuser gebracht, befinden sich aber nach derzeitigen Erkenntnissen nicht mehr in Lebensgefahr. Die entstandenen Sachschäden an den Fahrzeugen summieren sich auf rund 51.000 Euro. Der Führerschein des Mannes und sein Wagen wurden beschlagnahmt. Der 60-Jährige, der strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist, soll im Lauf des Donnerstags dem Haftrichter vorgeführt werden. Weil Hinweise auf eine psychische Erkrankung vorliegen, wird von Seiten der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Unterbringung in der forensischen Abteilung eines Zentrums für Psychiatrie beantragt.