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NS-Zeit bleibt im Dunkeln

Geschichte Nach Diskussionen in mehreren Sitzungen hat der Notzinger Gemeinderat eine wissenschaftliche Studie zur Aufarbeitung der lokalen Geschehnisse während des Nationalsozialismus abgelehnt. Von Katja Eisenhardt

Ausgangspunkt für die Diskussionen war der Vortrag von Wolfgang Kalmbach im Oktober 2019 im Hirschsaal über vier Notzinger, die vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs standhaft Widerstand gegen die nationalsozialistische Bewegung „Deutsche Christen“ - eine rassistische und antisemitische Gruppierung innerhalb der evangelischen Kirche - leis­teten. Kalmbach, der Vorstandsvorsitzender des „Arche“-Wohnverbunds in Notzingen ist und als Religionspädagoge sowie im Oberkirchenrat tätig war, hatte bei seiner Recherche viele Zeitzeugengespräche geführt.

Die SPD-Fraktion im Gemeinderat Notzingen hatte daraufhin beantragt, eine Gedenktafel für die vier Widerständler beispielsweise am ehemaligen Gasthaus Hirsch anzubringen. Die Entscheidung wurde vertagt, als der Vorschlag einer detaillierten Aufarbeitung der NS-Zeit im Ort aufkam.

Gedenktafel steht noch offen

Jetzt waren Kreisarchivar Manfred Waßner und der Linsenhofener Historiker und Geschichtslehrer Dr. Steffen Seischab in die Sitzung des Gemeinderats gekommen, um die mögliche Vorgehensweise vorzustellen und offene Fragen zu beantworten. Eine Stunde lang wurde ausgiebig diskutiert. Am Ende wurde das Angebot einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung inklusive der Publikation der Ergebnisse in Form eines Buches mit einer Auflage von rund 700 Exemplaren mehrheitlich abgelehnt. Die Gesamtkosten, die sich laut Manfred Waßner vor allem aus der zeitaufwendigen Recherchearbeit, Bildhonoraren, Lektorats- sowie den Druckkosten zusammensetzen, wurden mit rund 21 400 Euro beziffert. Wie es nun weitergeht, ob es zum Beispiel doch noch eine Gedenktafel geben wird, wurde noch nicht neu besprochen.

Es wäre eine Chance gewesen, diesen sehr sensiblen Teil der Geschichte und die Geschehnisse im Ort wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen und so auch für jüngere Generationen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Ganze hätte zudem lebendig gestaltet werden können, etwa mit bio­grafischen Elementen, wie es Ulrich Blattner von der SPD als besonders wichtig ansah. Denn wie Kreisarchivar Manfred Waßner betonte: „Es gibt zur Notzinger Ortsgeschichte und gerade auch zur NS-Zeit bisher keine umfangreiche Forschung.“

Eine kurze Vorabrecherche habe aber bereits gezeigt, dass es sich durchaus lohne, genauer hinzuschauen. Zumal in heutiger Zeit noch viel mehr Quellen für die Forschung zugänglich seien, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Allein schon die Kirchengeschichte im Ort, der sich bereits Wolfgang Kalmbach intensiv gewidmet hatte, sei eine Besonderheit in der Region. Grundsätzlich gebe es im Zusammenhang von Widerstand und Nationalsozialismus ganz unterschiedliche Gruppierungen, Aktivitäten und Abstufungen des Widerstands, die es zu beleuchten gelte, so der Kreisarchivar. Dieses erarbeitete Wissen gelte es dann weiterzugeben, etwa durch eine didaktische Aufarbeitung für die Schulen.

Steffen Seischab, der hauptberuflich Geschichtslehrer am Gymnasium ist und sich seit gut zehn Jahren intensiv mit der NS-Zeit in der Region beschäftigt und schon einige Publikationen veröffent­licht hat, wäre laut Manfred Waßner der geeignete Experte für eine „zwingend notwendige professionelle wissenschaftliche Aufarbeitung.“ Unzählige Quellen gelte es dabei auszuwerten. Allein schon dafür sei das notwendige Fachwissen unerlässlich, betonte Waßner auf die Frage von Hans Prell (UKW), ob man bei der Recherche unterstützend auch einen Studenten einbinden könnte. Zudem erklärte Prell, die Kosten seien nicht zu hoch, die Frage sei nur, ob man diese jetzt für ein Kapitel der Ortsgeschichte ausgeben wolle oder ob es nicht besser sei, diese insgesamt zu erforschen.

Seischab erklärte, dieses eine Kapitel könne man ja auch später für eine umfassende Ortsgeschichtenstudie heranziehen. Auf die Frage von Petra ­Lippkau von der CDU, ob die Publikation via Buch mit Blick auf die Kos­ten tatsächlich notwendig sei und ob es dafür überhaupt Interessenten gebe, antwortete Manfred Waßner, ein Buch sei nicht zwingend, die Forschungsergebnisse zugänglich zu machen aber doch. Seiner Einschätzung nach gebe es genug zu erzählen, dabei spiele die geringe Ortsgröße keine entscheidende Rolle, wie es Dr. Irmtraut Schneider (UKW) zu bedenken gab. Sie erkundigte sich zudem, ob keine reine Online-Veröffentlichung über die Gemeindehomepage ausreiche. „Eine umfassende Online-Präsentation würde teurer als das Buch in geringer Auflage“, stellte Manfred Waßner klar.

 

InfoDie bisher vorhandenen Rechercheergebnisse zur NS-Zeit in Notzingen in Bezug auf den Widerstand gegen die Kirche kann man auf der Homepage von Wolfgang Kalmbach nachlesen unter www.online-kalmbach.de.