Kirchheim. Rund 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren haben laut Sozialministerium mindestens ein- oder auch mehrmals körperliche oder sexuelle Gewalt durch ihren Beziehungspartner erfahren. Häuslich Gewalt umfasst nicht nur die Übergriffe, die Männer an Frauen in einer Paarbeziehung verüben, sondern auch die Gewalt gegen Kinder, von Kindern gegenüber ihren Eltern, zwischen Geschwistern oder gegen ältere Menschen, die im Haushalt leben. Trotzdem sind laut Renate Dopatka in der Mehrzahl Frauen die Opfer physischer, psychischer und sexueller Gewalt in den eigenen vier Wänden.
„Das Gros der gegen Frauen ausgeübten Gewalt findet nicht im öffentlichen Raum, sondern in der Beziehung statt“, berichtet Dopatka. 2014 zählte der Verein „Frauen helfen Frauen“ 123 Beratungen, 83 Anfragen sowie 23 Frauen und 25 Kinder im Frauenhaus. 39,1 Prozent der Frauen wiesen laut Renate Dopatka die deutsche Staatsbürgerschaft auf. „Die Zahlen sind seit Jahren relativ konstant“, so die Sozialpädagogin. „Allerdings rechnen wir mit einer Steigerung, wenn im Verlauf des Jahres vermehrt Familien von Flüchtlingen nachziehen.“
Häusliche Gewalt sei oft ein Mittel zur Ausübung von Macht. Einschüchterungen, Verleumdungen, Drohungen, Psychoterror, aber auch Schläge oder erzwungene sexuelle Handlungen können laut Irmgard Pfleiderer Formen sein, denen Frauen ausgesetzt sind. Neben Suchtproblemen seien nicht selten Beziehungs- oder Lebensveränderungen ein Auslöser.
So kann eine Schwangerschaft oder Geburt Ursache von Gewalt sein, weil in dieser Lebenssituation Pfleiderer zufolge ein Einkommen wegbricht und der Mann zum Alleinverdiener wird. „Aber auch Scheidung, Trennung oder extreme Eifersucht kann dazuführen“, sagt die Sozialpädagogin, die betont, dass, in Abhängigkeit von Form und Dauer der Leiderfahrung, für die Opfer langfristige Beschwerden nach sich ziehen können.
Die im Juni 2014 erschienene repräsentative Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“, in deren Rahmen über 10 000 Frauen befragt wurden, gaben 57 Prozent der Teilnehmerinnen an unter psychischen Folgebeschwerden zu leiden, 27 Prozent sprachen von langfristigen psychisch-sozialen Folgen. „Depressionen, Angstzustände oder posttraumatische Belastungsstörungen, wie sie von Soldaten oder auch Polizisten bekannt sind, können aus häuslicher Gewalt resultieren“, berichtet Renate Dopatka. Eine Aufarbeitung der durchlebten Pein sei schwierig.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau über das erfahrene Leid hinwegkommt, erhöhe sich, je früher sie die ungesunde Beziehung beende. „Aber letztlich verarbeitet jeder Mensch solche tiefen Einschnitte anders“, sagt Irmgard Pfleiderer. „Anders als einmalige Übergriffe im öffentlichen Raum, leiden von häuslicher Gewalt Betroffene länger, und die Intensität der Gewalt nimmt mit der Zeit zu.“
Auch die sozio-ökonomischen Folgen häuslicher Gewalt sind laut Renate Dopatka nicht zu unterschätzen. Betroffene fehlen ihr zufolge häufiger am Arbeitsplatz, lassen in der Arbeitsleistung nach, sind weniger belastbar und verlieren deshalb manchmal sogar ihre Stelle. „Und die Frauen geben bei einer Trennung mitunter auch ihr soziales Umfeld auf und verzichten auf das gemeinsame oder sogar eigene Eigentum“, so die Sozialpädagogin.
Die Annahme, dass jüngere Frauen früher den Schlussstrich ziehen, als Geschlechtsgenossinnen früherer Generationen, kann Dopatka nicht bestätigen. „In der Regel sind Frauen heute besser ausgebildet und kommen nach einer Trennung daher finanziell besser zurecht“, erzählt die Expertin. „Aber bis die Frauen den Mut fassen, die Beziehung zu lösen, vergehen oft Jahre.“
Leidtragende seien bis dahin auch die Kinder, die die Gewalt miterleben würden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder später in ihren Beziehungen ähnliche Erfahrungen machen, ist hoch“, so Irmgard Pfleiderer, die darauf hinweist, dass sich Betroffene jederzeit an den Verein „Frauen helfen Frauen“„ wenden können, um Hilfe zu erhalten.