Dass mit Jürgen Essl ein sonst auf Orgeln in Tokio, St. Petersburg oder auch in Notre Dame in Paris konzertierender Organist von internationalem Rang für das neue Dettinger Orgelglück zurückkehrt und in die Tasten greift, ist eine schöne Fügung. Zugunsten der dort installierten Beckerath-Orgel spielte er ein umfangreiches Konzertprogramm mit Muffat, Bach, Mozart und eigenen Werken. Bei hochsommerlichen Temperaturen ist der Konzertabend in der relativ kühlen St.-Georgs-Kirche gut besucht. Die Zuhörer werden verwöhnt mit Orgelkunst vom Feinsten und einer perfekten Präsentation des Instruments.
In der „Passacaglia“ des Barockkomponisten Georg Muffat, einer Komposition mit Thema und Variationen, erzeugt der Organist zahlreiche Klangschattierungen und dynamische Abstufungen. Rhythmik und Registerzahl nehmen permanent zu und münden in eine Schlusssteigerung mit 32stel-Skalen im Tutti.
Jürgen Essl: „Worauf es mir bei meinem Spiel ankommt: Ich möchte mich stimmig fühlen mit der Musik in dem Moment, wo ich sie spiele, das ist das Wichtigste.“
Die Komposition „Demoltokata“ mutet an wie eine moderne Collage aus Elementen von Bachs berühmter Toccata und Fuge in d-Moll. Mit versteckten Anklängen ans Original, kühnen Akkordrückungen, flirrenden melodischen Fetzen und farbiger Jazz-Harmonik wird Bachs Vorlage in etwas völlig Neues verwandelt. Großartig komponiert, grandios gespielt!
Die Improvisationen „Reflex 1“, „Reflex 2“ und „Reflex 3“ sind mehr oder weniger Reaktionen auf das jeweils davor erklingende Werk. Zarte Holzpfeifen glucksen in „Reflex 1“ anfangs ohne melodische Konturen und werden dann abgelöst von Mixturklängen. Die Registrierung und die rhythmischen Strukturen erinnern an Muffats „Passacaglia“. Letztere werden als Ostinato hartnäckig wiederholt, ehe darüber eine Melodie in einer Zungenpfeife aufblüht. Traditionelle Harmonien stehen neben neutönerischen Klangschichtungen, die durch eine Vielfalt von Klangfarben faszinieren. Etliche Zuhörer meditieren und genießen die Musik mit geschlossenen Augen.
Wolfgang Amadeus Mozarts Fantasie f-Moll hat den Beinamen „Ein Stück für eine Orgel in einer Uhr“. Es ist ursprünglich eine dünne zweistimmige Komposition für eine Spieluhr, „fürs Wohnzimmer sozusagen“. Mozart hat in seinem letzten Lebensjahr 1791 im Auftrag von Wiener Uhrenherstellern solche Stücke geschrieben, weil sie Geld brachten. Jürgen Essl: „Das Stück war nicht für zwei Hände und zwei Beine komponiert. Das heißt also, es ist extrem schwer zu spielen. Da sind Triller in den Mittelstimmen, man musste es umschreiben für die Orgel, weil man die ursprüngliche Version nicht greifen kann. Eigentlich ist dieses Werk ‚gegen den Körper‘ komponiert. Die Imitation einer Uhr ist ein mechanischer Vorgang. Das möchte ich aber nicht. Ich möchte, dass das Stück ‚beatmet‘ ist, dass es klingt wie ein spielender Mensch, ein Mensch, der das Stück spielt, als wäre es nicht für eine Uhr komponiert.“
Den fulminanten Abschluss des Konzerts bildet die bekannte Toccata und Fuge d-Moll von Johann Sebastian Bach. Mit spielerischer Leichtigkeit huschen die Hände im flotten Tempo über die Tasten, und das Thema der Fuge wird mit spitzer Artikulation herausgemeißelt. Beim meisterlichen Pedalspiel Jürgen Essls denkt man unweigerlich an das Zitat eines Zeitgenossen über Bachs Orgelspiel: „Seine Füße flogen übers Pedal gleich Engelsschschwingen“.
Eine gewaltige Tonflut durchströmt St. Georg, und am Ende gibt es viel Applaus und eine Zugabe. Welch eine Sternstunde für die neue „Königin der Instrumente“ in Dettingen.