Da liegt unser prominentestes Opfer“, sagt Karl Sablowski und zeigt auf die widerstandsfähigen Reste der Bismarcklinde. Genau 125 Jahre ist sie am Käppele in Dettingen gestanden, ehe „Lothar“ sie zu Fall gebracht hat. Teile des Baums sind zwar schon vermodert, aber die moosüberwachsene Linde kämpft weiter um ihr Leben, Stockausschläge sind da. „Der Baum wehrt sich heftig. Linden sind schon zäh“, zollt der einstige Förster dem Baum Respekt.
25 Jahre ist es her, dass Orkan Lothar am zweiten Weihnachtsfeiertag im Land gewütet, Todesopfer gefordert, Dächer abgedeckt und zahllose Bäume gefällt hat. „Ich habe daheim am Fenster dem Sturm zugeschaut. Am nächsten Tag haben wir die öffentlichen Straßen kontrolliert. Nachdem wir die Hochwangsteige hochgefahren sind, habe ich am Burrenhof den Anruf vom Dettinger Feuerwehrkommandanten Holder bekommen. Seine Frage: Sollen wir den Weg vom Neuen Friedhof bis zum Nonnenbrunnen freimachen, wo früher mal der Dettinger Wald gestanden ist?“, erinnert sich Karl Sablowski. Als er seinen Wald sah, sind im fast die Tränen gekommen. „Das war ein riesengroßes Mikado“, beschreibt er die Situation.
Für die Natur war der Orkan eine gute Sache.
Förster Karl Sablowski
„Das Aufarbeiten von Sturmholz ist das Gefährlichste, was es im Wald gibt“, sagt der Förster im Ruhestand, der von 1981 bis 2012 für das Dettinger Revier zuständig war. Die umgestürzten Stämme stehen oftmals unter starker Spannung. Die Wurzelteller können wie eine Mausefalle zuschnappen, wenn der Stamm abgesägt wird, und einen Menschen begraben. Außerdem ist die Gefahr deutlich größer, dass große Äste plötzlich herabfallen. Die Situation ist auch für Profis schwer einzuschätzen. „Außer einer starken Prellung wurden die Waldarbeiter von großen Verletzungen verschont“, ist Karl Sablowski heute noch dankbar. Unterstützung hat seine Mannschaft aus Unterfranken erhalten, um das Sturmholz möglichst schnell aus dem Wald holen zu können. Borkenkäferbefall sollte damit vermieden werden.

Rund 44 Hektar Gemeindewald fielen dem Orkan zum Opfer – ohne die Flächen im Privatwald. „Das waren 20.000 Festmeter und damit das zehnfache des üblichen jährlichen Holzeinschlags auf einem Fünftel der Holzbodenfläche im Dettinger Wald“, sagt Karl Sablowski. Mehr oder weniger die gesamte Hochfläche war bis auf ein paar Baum-Inseln, die stehen geblieben waren, kahl. „Die ersten zwei Jahre haben wir nur aufgeräumt. Wir haben in dieser Zeit nichts gepflanzt.“

Der Förster im Ruhestand geht mit seinem direkten Nachfolger Benjamin Fischer durch den jetzigen Bestand in seinem alten Revier. Die beiden verstehen sich. Ein Blick genügt, die Erklärung gibt’s für die Dritte im Bunde, warum drei Lärchen um eine vierte herum das „Fällzeichen“ tragen. „Es geht um den Kampf ums Licht und damit auch um die Nährstoffe. Der eine Baum hat sich durchgesetzt – um mehr Wurzelmasse ausbilden, stabil und optimal wachsen zu können, brauchen Bäume Platz“, erklärt Benjamin Fischer und nennt als Kennzahl: „So groß wie die Krone ist, so breit ist auch die Wurzel.“ In ihrem Jugendstadium wachsen die Bäume schnell. Jetzt, nach 25 Jahren, sind erste Pflegemaßnahmen notwendig, denn die Bäume stehen zu dicht. Den Spaziergängern auf dem Käppele sind die neuen Wegschneißen aufgefallen, die etwa alle 40 Meter den Wald teilen. „Die Rückegassen gibt es schon lange, wir haben sie nur wieder reaktiviert. Sie bringen Struktur in den Wald“, erklärt der Revierleiter. Diese Wege wurden bereits für die Kalkung genutzt.

„Für die Natur war der Orkan eine gute Sache“, resümiert Karl Sablowski. Die große Störungsfläche war innerhalb kürzester Zeit wieder voller Leben. Andere Vogelarten und Schmetterlinge haben sich eingestellt und auch die Gelbbauchunke fühlte sich plötzlich in Dettingen wohl. Das war zum einen den schweren Maschinen zu verdanken, die tiefe Fahrrinnen verursachten, in denen das Wasser lange stehen bleiben konnte – das perfekte Habitat für die kleine gelb-schwarze Amphibie. Zum anderen gab es viele große Erdlöcher, die durch die senkrecht stehenden Wurzelteller entstanden sind und ebenfalls kleine Tümpel entstehen ließen.
Für die beiden Förster ist der Wald mehr als ein reiner Wirtschaftsbetrieb. „Die Saalweide ist die erste, die im Jahr blüht und Nahrung für Bienen ist“, erklärt Karl Sablowski, weshalb diese Bäume auf dem Käppele zu finden sind. Für Erholungssuchende wurde die „Hohenneuffenwand“ erstellt. An dieser Stelle hatten die Wanderer dank Lothar plötzlich einen schönen Blick auf die Burgruine. Doch irgendwann versperrten wieder die Bäume den Blick, weshalb ein Wall aufgeschüttet wurde. „Jetzt ist der Ausblick aber komplett zugewachsen, weshalb wir die Bank entfernt haben“, sagt Benjamin Fischer und zeigt auf eine Gruppe von fünf großen Bäumen, die nicht der Motorsäge zum Opfer fallen. „Das ist ein so schönes Landschaftsbild mit dem Unterwuchs. Es zeigt, dass der Wald eine Naturschutz- und Erholungsfunktion hat.“
