Eine Zeitreise der besonderen Art gab es am Wochenende im Hirsch in Schlattstall. In dem Saal, in dem das Land Baden-Württemberg in konspirativer Sitzung geboren wurde, fand nun eine außergewöhnliche Filmpremiere statt. Ganze 88 Jahre hat es gedauert, bis die Bilder das Licht der Welt erblickten und digital zum Laufen gebracht wurden. Der Star des Streifens: die Papierfabrik Scheufelen in Oberlenningen.
Es ist das Jahr 1937. Die Nazis haben das Land fest im Griff. Hakenkreuz und andere Nazi-Symbole sind jedoch in keiner einzigen Sequenz zu entdecken. „Es ist ein Lehrfilm über die Papierherstellung“, sagt Thomas Harriefeld, der die Filmrollen auf dem Gelände der alten Papierfabrik entdeckt hat. Zwei Jahre hat er durch den Lost Place Gruppen geführt und dabei auf seinen Erkundungstouren die eine oder andere Entdeckung gemacht.
Reines Quellwasser ist nicht nur für Bier wichtig, sondern auch für die Papierherstellung.
Ulrich Scheufelen
Mit Michael Maschke hat er einen kongenialen Partner gefunden. Der SWR-Regisseur hat die Qualität der Bilder sofort erkannt und deren professionelle Bearbeitung vom Negativ in das digitale Positiv in die Wege geleitet. Sein fachliches Auge sorgte für die nötige Präzision der Aufnahmen.
Das Herz des etwa einstündigen historischen Films ist jedoch Dr. Ulrich Scheufelen. Wie sehr der einstige Chef mit dem Familienunternehmen verwachsen ist, wird in jedem Satz deutlich. Kein professioneller Sprecher hätte den Stummfilm besser zum Leben erwecken können. „Wir haben ihm den Film vorgespielt und er hat einfach dazu gesprochen“, erzählt Michael Maschke. Es brauchte keine zweite Fassung oder Nachjustierung. In klaren, jedem verständlichen Worten hat er die einzelnen Schritte der Papierproduktion erklärt und auch die richtigen Worte für die damalige Zeit gefunden – etwa, dass der Streuobstbau im Lenninger Tal eine wichtige Einnahmequelle für die Menschen war.
In drei Teile ist der Film gegliedert, es beginnt mit einem Überblick über die Landschaft im Umfeld der Papierfabrik. Unglaublich: die nagelneue autofreie Autobahn. Direkt neben der Fahrbahn steht ein Kuhgespann, Menschen sind bei der Heuernte zu sehen. Die Zuschauer erfahren im Laufe des Films, dass die Rohstoffe vornehmlich mit der Bahn kommen, das Papier jedoch zu etwa zwei Drittel auf Lkw zu den kleinen und mittelständischen Druckereien ausgeliefert wird. Deshalb ist der Autobahnanschluss im Sinne der Firma.

Wichtigster Faktor für die Ansiedlung der Papierfabrik war die Lauter. „Reines Quellwasser ist nicht nur für Bier wichtig, sondern auch für die Papierherstellung“, erläutert Ulrich Scheufelen. Wasser wurde aber auch zur Energiegewinnung genutzt, später durch Kohle als Hauptenergielieferant ausgetauscht. Der 96 Meter hohe Schornstein war 1937 am oberen Rand schwarz umrandet, ehe dann wiederum auf Gas umgestellt wurde. „Weiße Wäsche, im Freien aufgehängt, war wegen der Steinkohle und den herabrieselnden Kohlepartikeln, bald grau“, erinnert sich Ulrich Scheufelen.
Von Hadern, Lumpen, Holzschliff und Bleichholländer war die Rede. Abfall wie Lumpen und Papierreste wurde recycelt und zu Papier gemacht. Die Zuschauer erfuhren, dass eine große Papiermaschine im Prinzip nichts anderes als eine große Trocknermaschine ist, die aus einem Faserbrei schließlich eine Papierbahn hervorbringt.
Im dritten Teil werden große Holzkisten, gefüllt mit hochwertigem Phoenix-Kunstdruckpapier, mit Schablonen beschriftet. Die Reiseziele: Sydney, Buenos Aires, Bombay, Shanghai und andere Weltstädte auf allen Kontinenten. „Wir waren kein Rüstungsbetrieb, aber während der Nazizeit brachten wir wichtige Devisen ein“, sagt Ulrich Scheufelen.
