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Per „Job-Turbo“ auf den Arbeitsmarkt

Integration Für viele ukrainische Kriegsflüchtlinge heißt es nach dem Integrationskurs, schnell einen Job anzutreten.

Kreis. Seit Beginn des Krieges vor knapp zwei Jahren sind mehr als 8550 Flüchtlinge aus der Ukraine in den Landkreis Esslingen gekommen. Viele von ihnen wollen länger oder dauerhaft in Deutschland leben. So wie Jeniya Kalynovska. Die 46-Jährige floh im Mai 2022 mit ihrem inzwischen erwachsenen Sohn aus Mariupol und fühlt sich nun in Kemnat zu Hause. „Mir gefällt es hier sehr gut.“ Zu ihrem Glück fehlt aber noch etwas: ein Job. Von Anfang an war ihr klar: Sie will nicht untätig herumsitzen und Bürgergeld beziehen. „Ich möchte unabhängig sein und mein eigenes Geld verdienen.“

Berufserfahrung hat sie genügend, sie arbeitet seit ihrem 16. Lebensjahr, erzählt sie aus ihrem Leben. In der Ukraine war sie unter anderem als Tanz- und Sportlehrerin in einem Kindergarten tätig – und würde gern in ihrer neuen Heimat als Erzieherin arbeiten. Der Weg dahin aber ist lang und mühsam. So kann sie sich zwar inzwischen ausreichend auf Deutsch verständigen, ihre bereits erworbenen Sprachkenntnisse reichen für eine Anstellung offenbar jedoch noch nicht aus.

Die Krux: „Viele Arbeitgeber haben in diesem Punkt hohe Ansprüche an die Bewerber“, räumt Karin Käppel ein. Die Leiterin der auch für den Landkreis Esslingen zuständigen Agentur für Arbeit Göppingen appelliert an die Firmenchefs und Personaler, Menschen mit geringer Sprachkompetenz eine Chance zu geben. „Deutsch kann man lernen. Und das geht doch am besten berufsbegleitend“, betont Käppel.

Helferjob als möglicher Einstieg

Geflüchtete aus der Ukraine – das seien zu zwei Dritteln Frauen – hätten einen ausgeprägten Erwerbstätigkeitswunsch, stellt Käppel fest. Und: „Es gibt jede Menge unbesetzte Stellen, bei denen Geflüchtete zumindest erste Arbeitserfahrungen sammeln könnten.“ Zwar würden nicht alle Ukrainer, die überwiegend ein gutes Bildungsniveau vorweisen können, begeistert auf ein solches Angebot reagieren. Doch ein Helferjob könne der erste Schritt bei der beruflichen Neuorientierung sein.

Eine konkrete Vorstellung vom deutschen Arbeitsmarkt habe sie nicht, gibt Hanna Zhulidova offen zu. Auch die 36-Jährige, die im März 2022 ihre Heimatstadt Saporischschja verließ und nun in Deizisau lebt, ist gut ausgebildet. Sie hatte viele Jahre im kaufmännischen Bereich gearbeitet, war beratend tätig. Doch etwas Vergleichbares gebe es in Deutschland nicht. „Ich weiß nicht genau, welchen Beruf ich hier machen kann.“ Dennoch ist sie felsenfest davon überzeugt, bald eine Arbeit zu finden. „Ich bin vielfältig interessiert. Und ich habe Ziele in meinem Leben.“ Ihr größtes Problem bei der Jobsuche ist die Kinderbetreuung. In der Ukraine hätten sich ihr Mann, die Eltern und Bekannte um ihre heute achtjährige Tochter gekümmert. „Hier habe ich niemanden.“

Engmaschige Betreuung

Damit Geflüchtete mit Bleibeperspektive nicht länger im deutschen Sozialsystem festhängen, sollen sie möglichst nahtlos von der Schulbank der Integrationskurse an einen Arbeitsplatz vermittelt werden. Das sieht der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Ende vergangenen Jahres gezündete „Job-Turbo“ vor: Die Jobcenter vor Ort sollen die Geflüchteten jetzt noch engmaschiger betreuen und in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gezielt in Arbeit bringen. Astrid Mast, die Geschäftsführerin des Jobcenters Landkreis Esslingen, hat den Fokus schon vor dieser Ankündigung auf die Ukrainer gerichtet – denn für viele endet nun die im Durchschnitt neun Monate dauernde Integrationsmaßnahme.

75 Prozent der aus der Ukraine geflüchteten Menschen befänden sich bereits in Sprachkursen. Mit 550 werde man in den nächsten Wochen in Richtung Arbeitsmarkt marschieren, sagt die Bereichsleiterin im Jobcenter, Sabrina Steger. Bei der Vermittlung laufe vieles parallel. Innerhalb der letzten zwölf Wochen des Kurses würden die Geflüchteten fit gemacht für die Bewerbung und bekämen Stellenvorschläge. Gleichzeitig gehe man auf die Arbeitgeber zu, um Kontakte herzustellen. Oder bringe beide Seiten bei Veranstaltungen, wie beim Karrieretag am Stuttgarter Flughafen, zusammen. Bereits jetzt hätten einige Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit einen ersten Einstieg in den Arbeitsmarkt im Kreis gefunden: 780 sind inzwischen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, überwiegend in Jobs für Fachkräfte und Spezialisten.

Im Kreis Esslingen beziehen laut Mast rund 17 000 Männer und Frauen im erwerbsfähigen Alter Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II, das sogenannte Bürgergeld. Darunter sind 5584 Geflüchtete (Stand Juni 2023). Die Ukrainer stellen hier mit 3120 Bürgergeldbeziehern die größte Gruppe, gefolgt von Asylsuchenden aus Syrien (1344). Aus anderen Ländern, vor allem aus der Türkei, dem Iran und Afghanistan, stammen 1120 Flüchtlinge. Elke Hauptmann

 

Flüchtlinge im Landkreis Esslingen

Zahlen Nach Auskunft des Landratsamtes haben der Landkreis Esslingen und seine Städte und Gemeinden seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 bis Ende 2023 insgesamt rund 11 400 Flüchtlinge aufgenommen. Das sind deutlich mehr als in den Krisenjahren 2015 und 2016 zusammen, als rund 7500 Flüchtlinge in den Landkreis kamen.

Herkunftsländer Während die Zahl der aus der Ukraine Geflüchteten stetig zurückgeht, steigen die Zahlen bei den Flüchtlingen aus anderen Krisenregionen dieser Welt kontinuierlich an: Die Hauptherkunftsländer 2023 waren Syrien (plus 66,1 Prozent mehr Erstanträge gegenüber dem Vorjahr), die Türkei (plus 200,2 Prozent) und Afghanistan (plus 65,9 Prozent).

Finanzhilfen Anders als Flüchtlinge, die erst ein Asyl-Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen, konnten ukrainische Flüchtlinge von Anfang an das Bürgergeld beziehen. Allein­stehende erhielten durch diese Sonderstellung im vergangenen Jahr 502 Euro im Monat statt 410 Euro an Asylbewerberleistung. Zum 1. Januar 2024 stieg das Bürgergeld auf 563 Euro monatlich an, während der Bedarfssatz für Asylbewerber auf 460 Euro angehoben wurde. eh