Das Größte an der achttägigen Radtour? Ewald Löw muss nicht lange überlegen. „Unterm Eiffelturm stehen“, sagt der Bruckener ohne zu zögern. „Es ist einfach eine große Sache, hier loszufahren und in Paris anzukommen.“ Im Rahmen seiner „Hauptstadttouren“ hatte das Weilheimer Busunternehmen Franz Buck Reisen & Radeln die Fahrt in die französische Metropole angeboten. Mit von der Partie waren Heidi und Ewald Löw mit ihrem E-Tandem. Rund 100 Kilometer legten sie im Schnitt täglich zurück. Gnadenlose Hitze, die nur mit Fahrtwind um die Nase zu ertragen war, erlebten die Radler ebenso wie kurze Regengüsse an der Seine. Das Fahrradfahren ist das eine, die Selbstverständlichkeit, wie die Gruppe mit ihm umging das andere, was dem stark sehbehinderten Ewald Löw an dem Trip so gefallen hat. „Was ich da erfahre, ist für mich gelebte Inklusion“, so der 61-Jährige, der seit einem Arbeitsunfall auf einem Auge blind ist. Auf dem anderen sieht er lediglich schemenhaft, wenn er das Lid anhebt. „Mir ist es immer am liebsten, wenn die Leute mich direkt fragen, was mit meinen Augen ist“, sagt er. In Watte gepackt zu werden, ist nicht sein Ding.
zweiten Akku
mitnehmen können, wollte
ich drei Kilo abnehmen.
Am Ende waren es neun.
Franz Buck ist beeindruckt, wie viel Hilfsbereitschaft es unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gab. Ob es darum ging, Ewald Löw zum Tisch zu führen oder seiner Ehefrau das Gepäck abzunehmen – immer sei jemand zur Stelle gewesen. Auch andere Menschen mit Handicap meldeten sich bei den Radreisen an. „Das ist für uns gar kein Problem“, so der Weilheimer Veranstalter. Seine Devise lautet: „Wenn die Leute es sich zutrauen, bekommen wir das hin.“
Ewald Löw hat sich die Mammuttour nicht nur zugetraut. Beim Tandemfahren braucht es auch eine Portion Vertrauen. Mit dem ihm eigenen Humor winkt er ab. Gelernt habe er das Tandemfahren mit einer 16-jährigen Pilotin. Mit seiner Frau Heidi ist er längst ein eingespieltes Team. „Wir reden die ganze Zeit“, erzählt sie. Beide sind neuerdings per Funk miteinander verbunden. Sie beschreibt ihm nicht nur die Landschaft, sondern gibt auch wichtige Hinweise, wenn es etwa den Berg hochgeht und er kräftig in die Pedale treten soll. Weil „links“ und „rechts“ immer wieder für Verwechslungen gesorgt haben, hat sich das Ehepaar auf „elf“ und „halb zwei“ geeinigt, um die Richtung anzuzeigen.
„Heidi bekommt von allen Leuten am meisten Bewunderung dafür, wie sie das Geschoss steuert und sich den ganzen Tag konzentriert“, sagt Franz Buck. Um ihr noch mehr Sicherheit zu geben, fuhr er als Guide direkt vor dem Tandem und gab seinerseits wertvolle Tipps beispielsweise an Engstellen. Noch besser sitzt das Ehepaar auf dem Rad, nachdem er Damen- und Herrensattel getauscht hatte. Im Werk war man selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Mann vorne sitzt.
Bolle, dass wir es
geschafft haben.
Wer sich schon einmal mit dem Auto nach Paris hineingewagt hat, kann sich leicht vorstellen, dass Heidi Löw in dem Großstadt-Moloch an ihre Grenzen kam. Sie schüttelt den Kopf: „Ich habe gesagt, ‚wenn wir nicht bald draußen sind, setze ich mich hin und heule.‘“ Zwar sei die Gruppe auf den Boulevards auf der Busspur gefahren, doch hätten immer wieder auch Autos den Streifen genutzt. „Es war ein riesiges Erlebnis, aber in dem Moment einfach nur anstrengend“, sagt sie. Für ihren Mann bedeutete der enorme Lärmpegel Stress. In das Knattern und Röhren von Motoren mischte sich unablässig Hupen und Sirenengeheul von Notärzten, Polizei oder Feuerwehr. „Trotzdem waren wir stolz wie Bolle, dass wir es geschafft haben“, betont Heidi Löw. Der Sekt auf dem Trocadéro-Platz – mehr als verdient.
Schon rund ein Dutzend Mal hat sich das Ehepaar einer von Franz Bucks Radreisen angeschlossen. So viele Kilometer wie auf der Tour nach Paris wurden dabei noch nie zurückgelegt. Üblicherweise geht es im Bus in das Gebiet, in dem geradelt wird. Der Lungau, Südtirol, der Gardasee und die ligurische Küste gehören zu den Regionen, in denen sich Heidi und Ewald Löw bereits aufs Tandem geschwungen haben. Gleich dreimal waren sie auf Mallorca mit von der Partie. Weil es dort permanent bergauf und bergab ging, fiel der Entschluss, auf ein Pedelec umzusteigen. „Ich habe immer gesagt, das mache ich erst mit 80“, meint Ewald Löw gewohnt trocken. Aber er müsse niemandem mehr etwas beweisen. Die Tagesetappen von bis zu 123 Kilometern, die auf dem Weg in die Seine-Metropole zurückgelegt werden mussten, wären für das Ehepaar und die übrigen Radler ohne Akku auch kaum zu schaffen gewesen.
Franz Buck hatte eine abwechslungsreiche Route über Pforzheim, Kehl, Straßburg und entlang der Marne ausgetüftelt. Zu den Highlights gehörten für Ewald Löw die Rosettenfenster einer Kathedrale und die Europabrücke. Besonders beeindruckten ihn jedoch die verschiedenen Gerüche. Oft stieg ihm der Duft von Hähnchen in die Nase. „Das gab es gleich viermal, aber jedes Mal hat es anders geschmeckt“, sagt Franz Buck schmunzelnd. Abends wurde in Hotels gegessen, tagsüber sorgte die Crew des Begleitbusses fürs Picknick. „Da haben wir ein Rundum-Vewöhn-Programm“, schwärmt Heidi Löw. Ich brauche gar nichts zu tun. Das ist für mich richtig Urlaub.“ Schon jetzt steht fest, dass das Tandem als Teil einer „Sechser-Bande“, die sich bei der Paris-Fahrt gefunden hat, nächstes Jahr wieder mit dem Busunternehmen auf Reisen geht. Dann wird vom Reschenpass nach Verona gestrampelt. Der Damensattel von Beginn an vorne, der Herrensattel hinten.