Zwischen Neckar und Alb
Pfarrer muss wegen Missbrauchs ins Gefängnis

Prozess Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass ein Seelsorger sich an einem damals 13-Jährigen vergangen hat.

Esslingen. Zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten ist ein Pfarrer am Dienstag vom Amtsgericht Esslingen verurteilt worden. Das Schöffengericht sah es als erwiesen an, dass der 1945 geborene, evangelische Seelsorger einen zur Tatzeit 13-jährigen Jungen in zwei Fällen in einer Kommune im Landkreis Esslingen schwer sexuell missbraucht habe. An der Glaubwürdigkeit der Aussagen des heute 31-jährigen Opfers bestehe kein Zweifel. Das Verfahren hatte im März begonnen.

„Sitzung nicht öffentlich“ wurde auch während des zweiten Verhandlungstags am Dienstag die meiste Zeit in Leuchtschrift vor Saal zwei im Amtsgericht Esslingen angezeigt. Die fast zweistündige Befragung des Opfers, die Aussagen seiner Schwester sowie einer Sachverständigen erfolgten hinter verschlossenen Türen. Auch bei den Plädoyers war die Öffentlichkeit nicht zugelassen. Der Schutz der Intimsphäre des jungen Mannes stehe über dem Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall, begründete das Schöffengericht die Entscheidung.

Zur Urteilsverkündung war die Öffentlichkeit zugelassen. Nach den Aussagen des Opfers und seiner Mutter bestehe für das Gericht kein Zweifel daran, dass sich die Taten so ereignet hätten, wie sie in der Anklageschrift beschrieben worden seien, hieß es in der Begründung. Dieser Eindruck werde auch durch die Konstanz in den Aussagen des Opfers belegt. Der junge Mann habe sich zwar als wortkarg, introvertiert und in sich gekehrt gezeigt, es sei nicht seine Art, Gefühle nach außen zu tragen, und man habe ihm jedes Wort aus der Nase ziehen müssen. Doch das entspreche dem Naturell des 31-Jährigen, und der Verzicht auf Ausschmückungen und Ausschweifungen mache seine Aussage umso glaubwürdiger. Die Gesamtwürdigung aller Teile seiner Aussage würde zu einem schlüssigen Gesamtbild führen, und von ihm beschriebene Vorkommnisse am Rande der Vorfälle ließen sich durch andere Beweise zweifelsfrei belegen, so die Urteilsbegründung. Kleinere Widersprüche im Randgeschehen seien auf Erinnerungslücken durch die lange Zeit seit den Vorkommnissen zurückzuführen. Die Möglichkeit, das Opfer habe Träume wiedergegeben oder sei durch Suggestion beeinflusst worden, schloss das Gericht aus. Ein 13-jähriger Junge ohne sexuelle Erfahrungen würde nicht von solchen Vorkommnissen träumen. Es sei deutlich, dass der junge Mann von selbst Erlebtem berichtet habe.

Emotionale Folgen

Als strafmildernd für den verheirateten Pfarrer wertete das Gericht, dass die Vorfälle längere Zeit zurücklägen. Strafverschärfend aber seien die enge zeitliche Nähe der beiden Vorfälle und die emotionalen Folgen für den Geschädigten. Deutlich habe er die Schockstarre beschrieben, die ihn nach den Vorkommnissen befallen habe. Der junge Mann sei bei seiner Aussage nicht in Tränen ausgebrochen. Doch er habe seinem Naturell entsprechend objektiv von Schlafstörungen, Problemen in Beziehungen und Schwierigkeiten mit dem Zulassen von Nähe berichtet. Es passe in das Gesamtbild des Charakters des 31-Jährigen, dass er keine psychologische Hilfe in Anspruche nehmen, sondern das Erlebte mit sich selbst ausmachen wolle.

Während der Verhandlung hatte der Pfarrer ein Geständnis abgelehnt. Gegen das Urteil ist Berufung möglich. Simone Weiß