Im Garten des Hauses Steinach in Frickenhausen drehen Adnan Masih und Helmut Girke am Nachmittag gemütlich ihre Runden in der Sonne. Während sich die beiden unterhalten, legt Masih seine Hand auf den Rollator des 82-Jährigen, hilft ein wenig beim Anschieben. „Wir sehen aus wie ein altes Ehepaar“, scherzt Helmut Girke und bringt seinen 36-jährigen Begleiter zum Lachen. „Wir lachen hier immer viel“, sagt Masih: „Es ist mein Traumberuf. Manchmal komme ich sogar an freien Tagen her.“
2015 kam Masih aus Pakistan nach Deutschland. Seit 2016 arbeitet er in der Einrichtung der BeneVit-Gruppe. Zuerst als Praktikant, nun als Pflegehelfer in Vollzeit mit unbefristetem Arbeitsvertrag. „Anfangs war es wirklich schwer“, erinnert er sich zurück. „Dort, wo ich herkomme, pflegen die Kinder ihre Eltern. Es kommt nicht vor, dass ältere Menschen von Fremden versorgt werden.“
Auch die Bewohner müssen sich erst an das neue Gesicht gewöhnen: „Als ich anfangs zu jemandem ins Zimmer kam, hieß es nur ,Geh weg‘ “, erinnert sich Adnan Masih. Doch die Menschen gewöhnen sich schnell an den neuen Mitarbeiter und merken, dass der Job kein Neuland für ihn ist. „Ich habe in meiner Heimat sechs Jahre als OP-Assistent und in der Krankenpflege gearbeitet.“
Eine Arbeitskraft mit den Erfahrungen zu bekommen, ist nicht selbstverständlich, weiß Mario Kern, Pflegedienstleiter im Haus Steinach: „Adnan ist für uns unentbehrlich.“ Doch die Befürchtung ist groß, dass er bald ohne ihn auskommen muss. Denn der Asylantrag wurde 2017 abgelehnt, seitdem ist der 36-Jährige nur geduldet. Auch der Antrag auf Beschäftigungsduldung wurde Ende 2020 abgelehnt. Masih ist nicht der erste Mitarbeiter im Haus, der von der Abschiebung bedroht ist.
„Natürlich habe ich Angst davor, Deutschland verlassen zu müssen“, sagt Masih. „Ich lebe seit fünf Jahren hier und komme selbst für meinen Unterhalt auf. Wieso soll ich nicht bleiben dürfen?“ Eine berechtigte Frage, zumal gerade die Altenpflege seit Jahren kurz vor dem Kollaps steht. Schlechte Bezahlung und unzumutbare Arbeitsbedingungen schrecken viele ab. Für Migranten hingegen bedeutet ein Job in der Pflege oft eine Bleibeperspektive und die Chance auf ein neues Leben.
Die Schwierigkeiten liegen im rechtlichen Bereich, wenn es um den Aufenthaltsstatus geht, wenn die Duldung nicht rechtzeitig verlängert wird oder die Papiere nicht vorliegen. Eine Ausbildungsduldung gibt es nämlich nur, wenn die Betroffenen bei der Feststellung ihrer Identität mitwirken, Geburtsurkunde oder Pass beibringen. Das ist manchmal schwierig. Fälle wie den von Adnan Masih kennt Andreas Linder zuhauf. Er leitet beim Awo-Kreisverband Esslingen das Projekt „Bleibeperspektive im Landkreis Esslingen“. Damit setzt sich die Awo vor allem für solche Geflüchtete ein, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die sich aber durch Bildung, Arbeit und Ausbildung gut integriert haben. „Wir haben im Landkreis Esslingen immer mehr Fälle, in denen gut integrierte Menschen wie Herr Masih von der Abschiebung bedroht sind“, sagt Linder. Auffallend oft sind diese Menschen in Pflegeberufen tätig. Um eine Abschiebung noch zu verhindern, wird - wie bei Adnan Masih - ein Härtefallantrag gestellt. „Der hat eine aufschiebende Wirkung, aber es ist noch keine Garantie, dass der Betroffene bleiben darf.“
Stefan Wiedemann ist Geschäftsführer der DRK-Seniorenzentren in den Kreisen Nürtingen, Kirchheim und Göppingen - insgesamt acht Häuser. „Wir beschäftigen in unserem Geschäftsbereich 15 Geflüchtete und haben gute Erfahrungen mit ihnen gemacht“, sagt er. Die unterschiedliche Mentalität sei das geringste Problem. „In der Pflege geht viel über Empathie, diese Barrieren brechen schnell.“ Von Vorteil ist, dass viele der Geflüchteten aus Kulturen kommen, in denen Ältere noch geschätzt werden.
Wiedemann ist froh, dass sich mit den Geflüchteten ein neues Reservoir an Arbeitskräften aufgetan hat: „Die Stellen blieben sonst unbesetzt.“ Das DRK ist bestrebt, die Leute längerfristig an sich zu binden. Laut der Agentur für Arbeit in Göppingen sind alleine im Kreis Esslingen 28 Stellen in der Pflege unbesetzt, davon 22 für Pflegefachkräfte. Viele der jungen Männer könnten sich zunächst nicht vorstellen, eine solche Arbeit, die in vielen Ländern als Frauensache gilt, zu verrichten, und natürlich geht es ihnen um Bleibeperspektiven. „Sie sehen aber, dass es ein guter Beruf ist“, sagt Wiedemann.
Pflegeberuf ist ein Knochenjob
Auch die Krankenpflege profitiert von Migranten, die gewillt sind, in dem Beruf zu arbeiten, so wie Caroline Soh Makongo, die 2104 nach Deutschland kam. In ihrem Heimatland Kamerun hat sie einen Abschluss in Jura gemacht. „Damit konnte ich hier aber nicht viel anfangen“, sagt sie. Auf die Idee, einen Pflegeberuf zu ergreifen, kam sie 2015, als ihre zweite Tochter in der Nürtinger Medius-Klinik zur Welt kam. „Die Leute im Krankenhaus haben sich so toll um uns gekümmert. Das kannte ich nicht aus meiner Heimat.“
Die Hingabe der Pflegekräfte imponiert der heute 42-Jährigen. Sie belegt einen Deutschkurs, besteht die Sprachprüfungen B1 und B2 mit Bestnoten und beginnt ein Praktikum im Nürtinger Krankenhaus. Obwohl sie schnell merkt, dass der Beruf ein echter Knochenjob ist, fängt sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin an. Für sie war der Pflegeberuf ein Sprungbrett in die Integration. Mittlerweile ist sie ein fester Bestandteil des Pflege-Teams in der Inneren Medizin und allgemeinen Chirurgie.