Integration
Projekt in Nürtingen: Wenn Migranten Stadtführer werden

„Ich zeige dir meine Stadt“ heißt ein Projekt der Volkshochschule Nürtingen. Dabei bieten Migranten neu zugezogenen Migranten in ihrer Muttersprache Führungen durch Nürtingen an.

Foto- und Filmshooting in der Altstadt: Naomi Scheel von der VHS, Roman Ryzkhov und Alina Ryzkhova, Alican Öztürk, VHS-Chefin Sandra Schneider, Svitlana Tarasiuk, Dmytro Rozhok und Mariia Shevchenko vor der Kamera von Alexander V Ries. Foto: Andreas Warausch

„Syyyyyyyyr“ klingt es durch die Gassen der Altstadt. Erst etwas verhalten. Dann immer kräftiger. Ein Gruppenbild ist angesagt. Und die Menschen auf dem Bild lächeln. Denn „Syr“ heißt auf ukrainisch einfach nur „Käse“ und entspricht dem englischen „Cheese“, das auf Fotos einen freundlichen Gesichtsausdrucks einfordert. Warum die sieben Migrantinnen und Migranten an diesem Tag in die Kamera des Tübinger Videofilmers Alexander V Ries lächeln, hat einen alles andere als alltäglichen Grund.

Es ist ein Stadtrundgang der besonderen Art. Meistens wird ukrainisch gesprochen, russisch, oder auch türkisch. Doch es ist nicht so, dass hier Menschen aus anderen Ländern die lauschigen Plätzchen der Hölderlinstadt gezeigt bekommen. Die sechs Menschen aus der Ukraine und der Türkei kennen die Stadt – so gut, dass sie andere durch Nürtingen führen können.

„Wir haben sie in unseren Integrationskursen angesprochen“, sagt Sandra Schneider. Die Nürtinger Volkshochschul-Chefin blickt mit Stolz auf die neuen Stadtführerinnen und Stadtführer. Sie hatte die Idee für das Projekt mit den Menschen, die an der VHS Deutsch gelernt haben: Migranten, die seit einiger Zeit in Nürtingen und im Umland leben, sollen künftig neu zugezogenen Migranten in ihrer Muttersprache Führungen durch Nürtingen anbieten. Auch ein Name war schnell gefunden: „Ich zeige dir meine Stadt“.

Land fördert das Projekt

Es geht darum, neue Kursteilnehmer und Kursleiter zu finden. Und die neuen Stadtführer bekommen so eine honorierte Tätigkeit. Es kann ein Einstieg in den Beruf sein, sagt Sandra Schneider. Ganz sicher aber ist es ein gehöriger Schritt zur Integration. Sprachlich und kulturell. Das Projekt wurde vom Land gefördert. Die Teilnehmer wurden geschult, in Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern für Tourismus und Kultur, damit sie Stadtführungen in ihrer Muttersprache planen konnten.

An diesem Sommertag treten die frisch gebackenen Stadtführer vor die Kamera, um kleine Trailer für soziale Medien zu drehen. Dabei zeigt sich eine erfrischende Themenvielfalt. Beinahe so vielfältig ist die Geschichte der Menschen. Der gleiche Nenner: Sie mussten ihre Heimat verlassen – und fanden hier eine neue.

Den Auftakt vor der Kamera bestreitet Svitlana Tarasiuk. Zuhause in der ukrainischen Hauptstadt Kiew war sie bildende Künstlerin. „Historische Gebäude malen“, heißt ihr Format, das sie auf Ukrainisch für Erwachsene und Kinder anbietet. Die alten Häuser in der Hölderlinstadt haben es ihr angetan. Und der Neckar: „Den mag ich sehr“, sagt sie auf deutsch.

Vor der Stadtkirche präsentieren sich Alina Ryzkhova und ihr Mann Roman Ryzkhov. Er war Eisenbahner, sie Buchhalterin. In Donezk. Seit zweieinhalb Jahren sind sie hier. Die beiden bieten historische Stadtführungen an. „Für mich ist Geschichte interessant“, sagt Roman Ryzkhov.

Auch Alican Öztürk bietet historische Stadtführungen an. Der 33-Jährige stammt aus Izmir. Im letzten September kam er nach Nürtingen. „Es ist eine schöne Stadt, ich mag sie anderen zeigen“, sagt er strahlend.

„Lifehacks“ für Zugezogene

Ganz besondere Themen haben sich Dmytro Rozhok und Mariia Shevchenko, die zusammen vor zwei Jahren aus Charkiw hier herkamen, ausgesucht. Der 27-Jährige bietet sogenannte „Lifehacks“ an. In seiner Führung „Leben in Nürtingen“ geht es um allerhand nützliche Kleinigkeiten, die für Neuankömmlinge erhebliche Hürden darstellen können. Was muss man beim Einkaufen beachten? Beim Gang auf die Ämter, die Behörden? Wie bekommt man Tickets für den Zug? Wie ein Handy, das die Verbindung zur Heimat und zur Welt bedeutet? Immer geht es um die Frage: Was ist billiger, leichter, schneller? Dmytro Rozhok hat er einen Master in Internationalem Recht. Eines Tages möchte er sein Studium anerkennen lassen und als Anwalt arbeiten. Mit den Stadtführungen verfolgt er ein Ziel: „Ich will alles zurückgeben, was Deutschland mir gibt.“

Mariia Shevchenko hingegen zeigt anderen „Nürtingen mit Hund“. Wirtschaftswissenschaften studierte sie in Charkiw, hier macht sie online weiter. Eines Tages aber will sie Tierärztin werden. „Ich kann viel erzählen, wie man mit Hunden umgeht, auch auf deutsch“, sagt sie.