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Prostitution im Kreis: Die Not der Frauen wird ausgenutzt

Sexarbeit Die Beratungsstelle des Kreisdiakonieverbands „Rahab“ diskutiert die Lage der Prostituierten im Kreis.

Kreis. Gleich zu Beginn kamen die Zahlen und Fakten auf den Tisch: Claudia Brendel, Leiterin des Projekts Rahab des Kreisdiakonieverbands Esslingen, das Beratung für Menschen in der Pros­titution anbietet, und ihre Kolleginnen Silvia Vintila und Neele Petikis gaben einen Überblick zum Thema Prostitution im Landkreis Esslingen.

Im Kreis Esslingen gibt es zurzeit sieben angemeldete Einrichtungen mit 85 angemeldeten Prostituierten. Dabei kann man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Prostitution findet oftmals eher verdeckt in Privatwohnungen statt, und bei Weitem nicht alle in der Prostitution tätigen Menschen sind angemeldet. Gerade die Verlagerung in Privatwohnungen hat sich seit Corona verstärkt, berichten die Beraterinnen von Rahab. Sie gehen davon aus, dass man die Zahlen auf alle Fälle verdoppeln könne.

Vier Freier pro Tag

Etwa 95 Prozent aller Prostituierten sind Frauen, die nach eigenen Angaben etwa vier Freier pro Tag bedienen müssen, um ihre Miete und das Essen zu bezahlen. Silvia Vintila schätzt: „Wenn man sehr konservativ rechnet, haben wir über 500 Besuche bei Prostituierten am Tag im Landkreis Esslingen.“ Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, ergänzt: „Und die Kommunen verdienen anhand der Vergnügungssteuer mit.“ Er und Claudia Brendel regen an, doch wenigstens einen Teil davon in die Beratung und Unterstützung von Prostituierten zu investieren. Denn dass die Frauen freiwillig und ohne Not in der Prostitution tätig sind, sei die absolute Ausnahme.

Das zeigt der detaillierte Bericht der Beraterin Silvia Vintila. Die meisten Prostituierten auch im Landkreis Esslingen kommen aus Rumänien. Die Frauen fühlten sich für die Familie verantwortlich und könnten in Rumänien den Unterhalt für Kinder und ältere oder kranke Angehörige nicht verdienen. „Sie kommen aus Not und Verzweiflung in die Prostitution, weil sie darin die einzige Chance sehen, ihre Familie zu versorgen“, berichtet Vintila. Das bestätigt auch Polizeioberkommissar Turgut Coskuner von der Kriminalpolizei Reutlingen: „Unsere Erfahrung ist, dass das hier angesparte Geld zumeist zu 100 Prozent in das Herkunftsland überwiesen wird.“

Der Bericht der Beraterinnen der Projekts Rahab stellt klar: Bei der Prostitution handelt es sich somit zumeist nicht um einen Handel gleichberechtigter Partner, sondern um die Ausnutzung der Notlage von Frauen. Hinzu kommt, dass die Zuhälter es häufig gut verstehen, Abhängigkeiten zu schaffen, die den Frauen eine Selbstbestimmung unmöglich machen. Coskuner präzisiert: „Oft wissen die Zuhälter genau, wo die Familie wohnt, sind womöglich aus derselben Gegend, und die Frauen können viele Dinge hier in Deutschland ohne Wohnung, Führerschein und Sprachkenntnisse nicht selbst organisieren. In Privatwohnungen sind die Zuhälter oft die einzige Möglichkeit, Gewalt und den Raub der Einnahmen zu vermeiden.“

Doch der Blick sollte nicht nur auf die Prostituierten gerichtet bleiben, gibt Eberhard Haußmann zu bedenken, „denn die Frauen verlieren das Gesicht und nicht die Männer, die zu ihnen kommen“. So sind auch einige Initiativen im Landkreis unterwegs, Prostitution als gesellschaftliches Problem zu begreifen. Es wurde gefragt, wie es wohl um unseren eigenen Blick auf Männer und Frauen bestellt sei, wenn Prostitution als unvermeidlich gelte und sogar manche Junggesellenabschiede oder Abiturfeiern im Bordell enden. Andreas Caspar