Nürtingen/Stuttgart. Im Prozess um das Tötungsdelikt von Nürtingen hat der Angeklagte sein Schweigen gebrochen. Ausführlich berichtete er vor der ersten Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, wie er das spätere Opfer kennengelernt, wie sich eine komplizierte Beziehung herauskristallisiert habe und was in der Tatnacht nach seiner Version geschehen sei.
Dem 38-jährigen, iranischen Staatsbürger wird vorgeworfen, Mitte Oktober letzten Jahres seine 66-jährige Sprachlehrerin aus Eifersucht und aufgrund ihrer Weigerung, ihr eigenständiges Leben aufgeben zu wollen, erwürgt und dann in den Neckar geworfen zu haben. Die Anklage lautet auf Mord. Am ersten Prozesstag hatte der Mann geschwiegen, nun nahm er zu dem Vorwurf Stellung.
In flüssigem, gutem Deutsch schildert er, wie die Situation zu einem tödlichen Debakel eskalieren konnte. Nur manchmal muss der Dolmetscher einen schwierigen Begriff übersetzen oder dem Angeklagten bei einer deutschen Vokabel weiterhelfen.
„Initiative ging von ihr aus“
Die Initiative zu dem intimen Verhältnis zwischen Sprachlehrerin und Schüler, so sagte der Angeklagte, sei von der Frau ausgegangen. Sie habe sich mit ihm in einem Café treffen wollen, sie habe das Gespräch mit ihm gesucht, sie habe ihm WhatsApp-Nachrichten geschickt. Wöchentlich habe sie ihm in ihrer Wohnung in Nürtingen Sprachunterricht erteilt. Wenn er nicht hingegangen sei, habe sie sofort nachgefragt, wo er denn bleibe.
Sie habe regen Anteil an seinem Leben genommen. Da er sich in seiner Asylbewerberunterkunft in Oberboihingen wegen des Lärms und Problemen mit Mitbewohnern nicht wohlgefühlt habe, so der 38-Jährige, habe die Frau ihm eine alternative Wohnmöglichkeit in Nürtingen gezeigt. Danach habe sie ihn in ihre Wohnung eingeladen, ihm Bier und Whiskey gegeben, und als er sich wegen Übelkeit und Schwindel nach dem Alkoholgenuss niederlegen wollte, sei sie zudringlich geworden. Es sei dann zum Sex gekommen. Der Angeklagte attestierte der Frau auch eine gehörige Portion Eifersucht. Als er sich einmal kurz mit zwei Mädchen unterhalten habe, habe sie pikiert reagiert.
Im Vorfeld der Tat seien das spätere Opfer, ein befreundeter Iraner und er in Nürtingen unterwegs gewesen, so der Mann. Dann habe die Frau behauptet, dass sie dringend auf die Toilette müsse und daher in ihre Wohnung gehen wolle. Daraufhin, so der Angeklagte, habe er sich von dem Freund verabschiedet. In der Wohnung angekommen, habe es die Frau aber gar nicht mehr so eilig mit ihrem Toilettengang gehabt und habe die Post aus ihrem Briefkasten zehn Minuten lang genau angeschaut. Danach seien sie in das Ein-Zimmer-Apartment der 66-Jährigen gegangen und hätten dort einige Zeit verbracht. Immer wenn er habe gehen wollen, habe ihn die Frau daran gehindert. Außerdem habe sie gesagt: „Ich bin allein. Du bist allein. Das trifft sich doch gut.“ Auch Sex hätten sie gehabt.
Kurz vor dem Tötungsdelikt am Sonntag, 20. Oktober 2024, habe die Frau einkaufen gehen wollen, so der 38-Jährige weiter. Zurück in der Wohnung hätten sie beide dann Whiskey und Champagner getrunken und seien dann zu Bett gegangen. Vom Alkohol sei ihm schlecht geworden, er habe einen Würgereiz gespürt und sich auf der Toilette übergeben wollen. Doch die Frau habe ihn am Toilettengang gehindert.
Da sie wohl aber nicht wollte, dass er sich im Bett übergibt, habe sie ihm den Mund zugehalten und mit der anderen Hand gegen seinen Hals gedrückt. Schwer und bedrohlich habe die Frau auf ihm gelegen, sagte der Angeklagte. Er habe Angst gehabt und sie mit den Händen abwehren wollen. Da sei sie auf seiner Brust eingeschlafen. Erst später habe er bemerkt, dass sie nicht schlafe, sondern tot sei.
Erinnerungslücken
Die Leiche habe er in ein Laken gewickelt. Dann habe er die Wohnung verlassen und sei mit der toten Frau zwischen 20 und 30 Minuten vor dem Haus gestanden. Es sei aber niemand vorbeigekommen. Wer denn hätte kommen und was dieser Passant hätte tun sollen, wollte die Vorsitzende Richterin Monika Lamberti wissen. Er wisse es nicht, antwortete der Angeklagte: „Mein Kopf war vollkommen verrückt.“ Auch wie und warum er die tote Frau in den Neckar geworfen habe, sei ihm nicht mehr präsent. Er könne sich an nichts erinnern. An dieser Stelle riet die Richterin dem Mann dringend zu einer Absprache mit seinem Verteidiger. Die Sitzung wurde unterbrochen und soll am kommenden Mittwoch, 16. Juli, fortgesetzt werden.

