4,8 Millionen Tonnen an Ausbruchmaterial haben die beiden Tunnelbohrmaschinen Wanda und Sibylle auf ihrem zweijährigen Weg durchs Albvorland zwischen Kirchheim und Wendlingen zutage gefördert. Die beiden 120 Meter langen Maschinen sind kleine Fabriken, die den Tunnel nicht nur ausgebaggert, sondern den gesamten Rohbau erledigt haben. Kurz nachdem sie sich im Winter 2017/18 in Gang setzten, tüftelten die Ingenieure jedoch auch schon am ersten Problem. Und das war gar nicht ohne. Das Problem hieß Pyrit. Mehrkosten von 140 Millionen Euro standen damals im Raum.
Ein Resümee dieser Episode zogen die für den Bau des Albvorlandtunnels verantwortlichen Ingenieure nun bei der Veranstaltung „Stuva“, die alle zwei Jahre stattfindet und als Branchentreff für Tunnelbauer gilt. Man traf sich dieses Jahr in Karlsruhe. Dort präsentierte Tilman Sandner, seinerzeit einer der Projektingenieure, die Erfahrungen, die die Tunnelbauer mit der Geologie zwischen Kirchheim und Wendlingen gemacht haben.
Gelblich glänzendes Narrengold
Pyrit ist hübsch anzusehen. Als Kristall glänzt er gelblich und wird daher auch als Narrengold bezeichnet. Es ist Schwefel, der für die güldene Färbung sorgt. Man nennt Pyrit daher auch Schwefelkies. Neben dem kristallinen Pyrit gibt es diese chemische Verbindung von Eisen und Sulfat auch in feinsten Körnchen verteilt im Gestein. Pyrit ist im Albvorland weit verbreitet, auch zwischen Weilheim und Wendlingen. In etwa zwölf Metern Tiefe liegt eine etwa 18 Meter dicke Schieferplatte.
Doch warum wird Pyrit zum Problem? Wenn Eisensulfat, also Pyrit, nachdem es Millionen Jahre in zwölf Metern Tiefe unter völlig sauerstofffreier Umgebung lagerte, plötzlich ans Tageslicht befördert wird, reagiert es mit Sauerstoff, es bildet sich Sulfat. Würde das ins Grundwasser gelangen, stiege der Sulfatgehalt. Das ist aber nicht wünschenswert, denn ein hoher Sulfatgehalt hat Auswirkungen auf die Qualität des Grundwassers, das zu fast 70 Prozent für die Trinkwasserversorgung herangezogen wird. 250 Milligramm Sulfat pro Liter Wasser ist der Grenzwert für Wasser aus dem Wasserhahn. Denn immerhin sollte jeder Verbraucher zwei Liter davon pro Tag unbesorgt konsumieren können, wie das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium mitteilt.
Bevor der Bau eines Tunnels losgeht, müssen sich Ingenieure zunächst Klarheit darüber verschaffen, mit welchem Erdmaterial sie es im Verlauf der Bauarbeiten zu tun haben. Auf der gesamten Route, die der Tunnel nehmen sollte, müssen daher Probebohrungen gemacht werden. Vom Ergebnis hängt auch ab, mit wem man Verträge zur Entsorgung schließt. Nun gibt es auf der ICE-Strecke Wendlingen – Ulm nicht nur den Albvorlandtunnel. Gleich nebenan, bei Weilheim und Aichelberg, entstand der 8806 Meter lange Boßlertunnel. Mit dessen Bau wurde 2014 begonnen. Auch dort wurde Pyrit entdeckt. „Dass im Albvorland Pyrit existiert, wussten wir“, sagt Projektleiter Jens Hallfeldt.
Zwischen November 2016 und Februar 2017 wurde anhand von Testfeldern entdeckt, dass der Sulfatgehalt um das etwa Vierfache ansteigen wird. Der Höchstwert lag bei 120 Milligramm pro Liter Ausbruchmaterial. Bei 13 Jahre alten, eingelagerten Bohrkernen aus den Vorerkundungen des Boßlertunnels lagen die Werte sogar bei 500 Milligramm pro Liter. Die Grenzwerte für eine lockere Auffüllung in einem Steinbruch, ohne weitere Vorkehrungen, beträgt 50 Milligramm. Die Pläne der Tunnelbauer, das Erdmaterial einfach so in einem der Steinbrüche in Erkenbrechtsweiler, Grabenstetten und Römerstein zu entsorgen, waren damit perdu. Im Rahmen des sogenannten Pyrid-Erlasses war klar geregelt, wie mit dem Material umgegangen werden muss. Der Steinbruchbetreiber in Grabenstetten ließ sich im Gegensatz von einigen anderen von den neuen Bedingungen nicht abschrecken. Weitere Entsorgungsmöglichkeiten ergaben sich in Deponien in Thüringen und in der keramischen Industrie in Bayern. Alle ließen sich die Abnahme gut bezahlen. 100 000 Extrakilometer seien die Lkws gefahren, um das Ausbruchmaterial zu den Abnehmern oder auch nur zum Bahnhof Plochingen zu bringen, von wo aus es per Zug nach Thüringen transportiert wurde.
Branntkalk erhitzte die Gemüter
Das nächste Problem war das Förderband, mit dem der Ausbruch ans Tageslicht transportiert wurde. Damit dies funktioniert wie geschmiert, wurden Wasser und Tenside hinzugefügt. Um das beigefügte Wasser wieder zu entziehen, bestreute man den Brei mit Branntkalk, der Wasser gut bindet. „Damit konnten wir das Material so aufbereiten, dass es die Konsistenz hatte, die zur Einlagerung benötigt wurde“, stellte der Experte die Lösung vor. Allerdings setzte sich der Kalkstaub auf Gartenmöbeln, Fenstern und Autos der Anwohner ab. Einige von ihnen hatten Angst vor Gesundheitsschäden. Eine Plane zum Schutz vor Verwehung ist beim Einsatz von Branntkalk eigentlich Standard. Die kam aber erst nach einigen Wochen zum Einsatz.
Für 378 Millionen Euro bekam die Schweizer Firma Implenia 2015 den Zuschlag für den Bau des Tunnels. Wie viel der Tunnel am Ende wirklich gekostet hat? Man wird das wohl nie erfahren. Dass aber für die Entsorgungslogistik 140 Millionen Euro hinzukamen, ist happig. Tilmann Sandners Rat: „Eine präzise Vorerkundung der relevanten Parameter und die entsprechende Massenermittlung sind von größter Wichtigkeit. Zusätzliche Untersuchungskosten von wenigen Tausend Euro stehen Mehrkosten in Millionenhöhe entgegen.“
Kalk ist nicht gleich Kalk, Wasser nicht gleich Wasser
Branntkalk oder Magnesiumkalk: Ein Punkt, den die Projektingenieure bei den Infoveranstaltungen gerne etwas verharmlost haben, war der Einsatz von Branntkalk, um dem Erdbrei aus dem Tunnel das Wasser zu entziehen. Branntkalk hat einen pH-Wert von 13 bis 15 und ist damit stark ätzend. Doch immer wieder war zu hören, dass damit ja schließlich auch ganze Wälder gekalkt und so die Auswirkungen des sauren Regens gemildert würden. Hier jedoch irren die Ingenieure. Denn Wälder, so teilte Dr. Peter Hartmann von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg mit, würden mit dolomitischen Kalken, also Calcium-Magnesiumkalk, behandelt. Branntkalk, so der Forstexperte, werde schon lange nicht mehr für die Waldkalkung eingesetzt, da er sehr reaktiv sei und einen viel zu starken Humusansatz im Wald fördern würde, von negativen Wirkungen auf die Waldlebewesen mal abgesehen.
Wasserqualität: Die Projektingenieure verweisen auch gerne darauf, dass sie die Grenzwerte für Sulfat im Trinkwasser für überzogen halten. 250 Milligramm pro Liter dürfen höchstens enthalten sein. In diversen Mineralwässern sei jedoch wesentlich mehr Sulfat enthalten – als Beispiel führten sie ein Mineralwasser aus der Region an, das bis zu 1400 Milligramm Sulfat pro Liter Wasser enthält. Etliche andere Mineralwässer enthalten jedoch bedeutend weniger Sulfat – zwischen neun und 200 Milligramm. Trinkwasser hingegen muss so beschaffen sein, dass es für die Zubereitung von Babynahrung geeignet ist und von allen Menschen, ungeachtet der gesundheitlichen Disposition, vertragen wird. nz