Das Singen im Chor ist für sie künstlerische Erfüllung und Lebensfreude zugleich: Alevtina Prokhorenko beschäftigt sich seit frühester Jugend mit der Stimme. „Der Chorgesang ist mein Leben“, bringt es die aus Moskau stammende Musikerin auf den Punkt. In ihrer Heimatstadt hat sie nach der Schule das Musikkolleg besucht und später am berühmten Tschaikowsky-Konservatorium Chorleitung, Gesang und Klavier studiert. Heute dirigiert sie unter anderem in Esslingen den Traditionschor des Sängerbundes RSK und den Russischen Chor.
Bereits während der Ausbildung war Alevtina Prokhorenko in verschiedenen Chören aktiv – eine Leidenschaft, die sie auch nach dem Umzug nach Stuttgart im Jahr 1994 nicht losgelassen hat. Damals wurde sie von Helmuth Rilling, dem ehemaligen Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart, unter die Fittiche genommen: Er förderte sie und ihren Mann durch Stipendien und besetzte beide regelmäßig bei Konzerten der Akademie. „Rilling ist nicht nur ein fantastischer Musiker – er ist auch ein Mensch mit Herz“, schwärmt Prokhorenko, die mit dem international bekannten Dirigenten noch heute befreundet ist. Doch die professionelle Musikszene ist nur eine Seite der Medaille. Die andere zeigt ihr Engagement im Laienbereich: Als Dirigentin von Gesangvereinen machte sie sich in der Szene einen guten Namen. Aktuell dirigiert sie den Singchor Fellbach, „Vokal total“ des Männergesangvereins Stuttgart-Berg und den Traditionschor des Esslinger Sängerbundes RSK. Ihre besondere Liebe gehört jedoch dem Russischen Chor, der in der Konzertlandschaft Esslingens eine solitäre Stellung hat. „Wir singen ausschließlich russische Literatur im Original“, erklärt Prokhorenko. Sie übernahm die Chorleitung vor zwei Jahren von Lena Schmitz, die den Russischen Chor seit der Gründung musikalisch betreut hatte. Da die Choristen eine starke Affinität zur russischen Sprache entwickelt haben, müsse sie nur noch gelegentlich Unterstützung bei der Aussprache geben. Von der außergewöhnlichen Qualität und Klangfülle des Chores ist die Dirigentin begeistert: „Wir habe einige professionelle Musikerinnen und Musiker in unseren Reihen. Das erleichtert die Arbeit enorm.“ Mit großem Erfolg wurden bereits Mariengesänge und russische Passionsmusiken aufgeführt. Besonders gerne erinnert sich die Chorleiterin an das Konzert mit Sergeij Rachmaninows „Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos“, bei dem der Chor zur Höchstform aufgelaufen sei.
Die Musikerin ist nicht nur in der Chorszene gefragt – immer wieder werden ihr von Musikschulen hauptamtliche Stellen angeboten. Doch da ist sie kritisch: „Ich liebe meine Freiheit und möchte nicht abhängig sein.“ Ein besonderer Trumpf Alevtina Prokhorenkos ist ihr breit gefächertes musikalisches Spektrum: In Jazz, Rock und Pop kennt sie sich ebenso gut aus wie in der klassischen Chorliteratur. Dies hilft der sympathischen Musikerin bei der Arbeit mit den Gesangvereinen, bei der sie inspiriert und mit Freude erfüllt wird: „Ich bin ein sehr offener und temperamentvoller Mensch: Ich liebe die Abwechslung. Und ich brauche viele Emotionen.“ Deshalb mischt sie die Programme, stellt Traditionelles neben Poppiges, und auch Melodien aus Musicals dürfen nicht fehlen: Mit ihren Chören hat sie populäre Titel wie „Probier‘s mal mit Gemütlichkeit“ aus dem Zeichentrickfilm „Das Dschungelbuch“ ebenso aufgeführt wie Melodien aus Johann Strauß‘ Operette „Die Fledermaus“.
Freude aufs Publikum übertragen
In den Proben ist Prokhorenko, die in ihrer Karriere bereits mit Weltklasse-Dirigenten wie Claudio Abbado und Zubin Mehta zusammengearbeitet hat, sehr konsequent: „Die Qualität muss stimmen. Aber der Spaß ist in den Proben ebenso wichtig: Ich möchte, dass die Menschen glücklich sind.“ Diese Freude übertrage sich aufs Publikum, sie schaffe in Konzerten eine besondere Atmosphäre. Auch bei der Arbeit mit professionellen Chören wie der Gaechinger Cantorey in Stuttgart oder dem Symphonischen Chor Bamberg spürt die Sängerin die starke Kraft der Töne. „Dann merke ich: Der unendliche Kosmos der Musik macht unser Dasein schöner. Ein Leben ohne Musik ist für mich nicht möglich“, sagt die Stuttgarterin. Wie bei vielen Kulturschaffenden wirft Corona jedoch auch bei ihr lange Schatten. Und was am meisten fehlt, ist der direkte Kontakt mit den Menschen.