Als Ramazan Selcuk als junger Mann in Kirchheim auf der Suche nach einer Wohnung ist und am Telefon eine Absage nach der anderen kassiert, kommt ihm irgendwann der Gedanke: „Wenn ich Peter Müller heißen würde, wäre ich privilegiert“. Abgelehnt zu werden, nur aufgrund seines Namens, ist eine der Rassismus-Erfahrungen, die Selcuk, der für die SPD im baden-württembergischen Landtag sitzt, mit den Teilnehmern der virtuellen Diskussion „Was bedeutet es, privilegiert zu sein“ teilt. Sie findet im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ statt, die die Stadt Kirchheim und der Integrationsrat gemeinsam mit vielen Vereinen und Institutionen organisiert.
Auch Brian Wenzel, geboren in Berlin, Profi-Basketballer und Assistant-Coach bei den Kirchheim Knights, weiß, wie es sich anfühlt, aufgrund der Hautfarbe abgestempelt und ausgegrenzt zu werden. „In meiner Schulzeit haben die Lehrer immer gesagt: Aus dem wird so oder so nichts“, erinnert er sich. Fast hätten sie recht behalten. „In meiner Familie sind viele illegale Sachen passiert. Hätte ich nicht den Sport gehabt, wäre ich wahrscheinlich auch im Gefängnis gelandet.“ In seinem ersten Profijahr, als er in Jena Kinder-Basketballtraining gibt, erlebt er, dass Eltern ihre Sprösslinge wieder abmelden, als sie erfahren, dass Wenzel kein Weißer ist. In Kirchheim fühle er sich privilegiert, sagt der Basketballer. „Würde ich nicht in Kirchheim leben, sondern in Berlin oder anderswo, wäre ich es nicht“.I
Ist jemand Rassist oder rassistisch?
Was ist der Unterschied zwischen Rassist sein und rassistisch sein, will Ali Babak-Rafipoor, Integrationsbeauftragter der Stadt Kirchheim, der die Veranstaltung gemeinsam mit Willi Kamphausen moderiert, von den Diskussionsteilnehmern wissen. Sowohl Brian Wenzel als auch Ramazan Selcuk kennen Situtionen, in denen Menschen sich rassistisch äußern und das Gesagte mit einem beschwichtigenden „Ich meine das doch nicht so“ abtun. „Du verletzt jemanden damit, egal wie du es meinst“, ist Wenzels Reaktion darauf, und Selcuk bestätigt: „Vielen fehlt die Sensibilität und Empathie, um zu verstehen, was das bei dem anderen auslöst“. Er sei vorsichtig, zu jemandem zu sagen „Du bist ein Rassist“, sagt Selcuk. „Aber ich sage mittlerweile: Das, was du gesagt hast, ist rassistisch“.
Für Offenheit plädiert auch Alexa Conradi von der Antidiskriminierungsstelle Esslingen, die als Weiße, in England geborene Frau nicht direkt von Rassismus, sehr wohl aber von Sexismus betroffen ist. „Wir müssen mutig werden und etwas sagen, damit Rassismus nicht salonfähig bleibt oder wird“, sagt Conradi, die lange in Kanada gelebt und sich dort in der feministischen Bewegung engagiert hat. Wenn in der Politik Wörter benutzt würden, die zu Ausgrenzung führten, müsse gesagt werden, dass das nicht akzeptabel sei. „Das geht auch beim Mittagstisch oder beim Familientreffen“, sagt Conradi. Wenn man sich nicht traue, gleich dagegen zu argumentieren, könne man seinem Gegenüber schlicht die Frage stellen: „Hey, was meinst du, wenn du das sagst?“ Oft komme dann heraus, dass die Bemerkung gar nicht so unschuldig war. „Manche denken, Rassismus ist nur das, was die Neonazis machen“, sagt Alexa Conradi. „Für mich ist Rassismus das, was wir alle machen. Nicht absichtlich. Aber wir können nicht weg davon.“
Klartext zu sprechen sei wichtig, sagt Ramazan Selcuk. „Wenn eine gute Freundin zu mir sagt, ‚Ah, du warst in deiner Heimat!‘, dann sage ich, ‚Nein, ich war in der Türkei‘. Denn meine Heimat ist Deutschland“. Oder wenn die Erzieherin seiner Enkeltochter dem Mädchen ein türkisches Fähnchen in die Hand drücke, dann gehe er hin und frage, was damit bezweckt sei. Denn bei solchen Aktionen würden die Kinder „schon mal einsortiert“. Früher sei ihm diese Art der Offenheit schwer gefallen. „Ich habe diese typisch türkische Erziehung gehabt. Das heißt, gegenüber Älteren immer höflich sein. Lächeln“. Das habe er mittlerweile abgelegt.
Rassismus zu bekämpfen fängt für Brian Wenzel schon im Kindesalter an. „Wir müssen aufhören, Kinder miteinander zu vergleichen“, sagt er. „Wenn wir daran etwas verändern würden, könnten wir etwas weniger Rassismus haben“.