Zwischen Neckar und Alb
Rettungsdienste schreien um Hilfe

Corona Durch die aktuelle Lage drohen Hilfsorganisationen zu überlasten. Auch im Kreis Esslingen ist die Zahl der Einsätze dramatisch gestiegen. Die Helfer appellieren an die Bevölkerung. Von Matthäus Klemke

Die gemeinsame Pressemitteilung der Rettungsdienste in Baden-Würt­temberg liest sich wie ein Hilferuf. Die Kapazitäten seien ausgereizt, die Helfer mit ihren Kräften am Ende. „Die derzeitige Beanspruchung geht nicht mehr lange gut, das System ist nicht unendlich belastbar“, warnt Marc Groß, Geschäftsführer des DRK-Landesverbands. Die Helfer gerieten in absehbarer Zeit an das Ende ihrer Kräfte. Die aktuelle Beanspruchung der Rettungsdienste sei auf Dauer nicht zu leisten. Besonders belastend seien die vielen Covid-Einsätze. „Die Zahl der Infektionstransporte steigt täglich, jeder Transport eines infizierten Patienten erfordert Sorgfalt, ist aufwendig und anstrengend“, heißt es in der Mitteilung.

Auch im Landkreis Esslingen spitzt sich die Lage zu. „Wir sind an der Grenze der Überlastung angelangt“, sagt Michael Wucherer, Rettungsleiter des DRK Esslingen-Nürtingen. Ein kurzer Blick auf seinen PC-Bildschirm verrät ihm: „Allein in diesem Augenblick laufen wieder drei Rettungseinsätze bei Menschen mit Verdacht auf Covid.“

Deutlicher Anstieg an Einsätzen

Besonders in den vergangenen zwei Wochen verzeichnete das DRK im Landkreis einen deutlichen Anstieg an Einsätzen von Rettungswagen (RTW). „Im Frühjahr hatten wir im Schnitt 460 Einsätze pro Woche. Im November waren es 640“, so Wucherer. Das seien pro Rettungswagen rund zwei Einsätze mehr am Tag.

Zwischen 15 und 40 Einsätze täglich stehen im Zusammenhang mit Covid. „Oft besteht erst einmal der Verdacht auf eine Covid-Erkrankung. Doch auch diese Einsätze dauern aufgrund der vielen Infektionsschutzmaßnahmen länger“, so Wucherer. Allein die anschließende Reinigung eines Rettungswagens nach einem Covid-Einsatz nimmt bis zu einer Stunde in Anspruch. „In dieser Zeit steht der RTW nicht zur Verfügung.“

Hinzu kommen längere Fahrtzeiten, denn die Wege zu den Notaufnahmen werden immer weiter, die freien Betten immer weniger. „Nicht immer können wir einen Patienten in die nächste Klinik bringen, weil dort einfach kein Platz mehr ist. Wir transportieren die Menschen teilweise über zwei Landkreise hinweg“, sagt der DRK-Leiter. Die Einsatzdichte wird so immer enger. „Während die Übergabe eines Patienten noch läuft, werden die Helfer schon zum nächsten Einsatz gerufen“, sagt Wucherer. Ein Durchatmen während der Zwölf-Stunden-Schicht sei aktuell nicht möglich. Lange sei diese hohe Belastung nicht zu meistern. Angesichts der prekären Lage und der noch immer hohen Zahl an Ungeimpften macht sich bei den Helfern Frust breit: „Wenn man mit einem Patienten an zwei Krankenhäusern vorbeifahren muss, fehlt einem langsam jegliches Verständnis. Unseren Mitarbeitern und auch den Patienten“, schildert Michael Wucherer.

Ein ganz ähnliches Stimmungsbild bei den Maltesern. „Die aktuelle Lage ist katastrophal“, sagt Marc Lippe, Bezirksgeschäftsführer der Malteser Neckar-Alb. „Unsere Leute sind am Limit.“ Mitte Oktober habe die Zahl der Einsätze deutlich angezogen. „Seit Ende November ist es ganz extrem geworden“, meint Lippe. Die Helfer haben rund 30 Prozent mehr Einsätze pro Woche. „Gut die Hälfte aller Fälle sind Patienten mit bestätigter Covid-Infektion oder Verdacht auf Covid“, sagt Lippe. Diese Einsätze seien nicht nur zeit­intensiver. „Oft belasten sie die Mitarbeiter auch psychisch mehr“, sagt Lippe.

Marie Maute hat im Oktober ihre dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin abgeschlossen. Seitdem ist sie für die Malteser in den Kreisen Esslingen, Zollernalb und Reutlingen unterwegs. „Die Dinge, die wir sehen, sind für uns nicht ganz einfach“, sagt sie über die Covid-Einsätze. Die 23-Jährige erinnert sich gut ein einen Notfall, zu dem sie vor Kurzem gerufen wurde: Ein Mann mit Atemnot, erst 40 Jahre alt, eigentlich kerngesund, ungeimpft. „Sein kleines Kind fragte mich, ob Papa wieder gesund wird. Was sagt man da?“ Zu sehen, wie junge Menschen plötzlich auf der Intensivstation landen, „das raubt einem die Kraft“, sagt Maute. Geht ein Notruf in der Leitstelle ein, wird zunächst der Covid-Status abgefragt. Liegt bereits eine bestätigte Infektion vor? Wie ist der Impfstatus? Die Informationen werden dann an die RTW-Besatzung weitergegeben. Sobald nur ein Verdacht auf eine Covid-Erkrankung besteht, ändert sich das Vorgehen der Rettungskräfte. „Ich gehe dann im Normalfall alleine in die Wohnung, um kein unnötiges Risiko einzugehen.“ Während Marie Maute die betreffende Person untersucht, telefoniert ein zweiter Helfer bereits die umliegenden Krankenhäuser ab. „Wir schauen dann direkt, wo ein Covid-Platz frei ist. Ich selbst habe schon bis nach Herrenberg telefoniert, um ein freies Bett zu finden. Kollegen mussten Patienten aber auch schon von Reutlingen nach Konstanz bringen.“ Auf dem Weg zur Klinik wird abgeklärt, wie der Patient ins Gebäude kommen soll. „Covid-Patienten können nicht einfach durch das ganze Krankenhaus geschoben werden“, sagt Maute.

Zurück in der Einsatzzentrale steht das große Putzen an. Auch bei Verdachtsfällen muss der Rettungswagen gründlich desinfiziert werden. Zwischen drei und vier Mal täglich wird der Wagen von den Sanitätern gereinigt. „Da ist man am Ende des Tages ausge­laugt.“

Wie sorglos derzeit mit der Pandemie umgegangen wird, habe schon etwas Makaberes, sagt Marie Maute: „Während die einen nachts zusammen feiern, verlegen wir die anderen von einem Krankenhaus ins nächste, und auf den Intensivstationen dürfen sich die Menschen nicht von ihren Angehörigen verabschieden.“ Um den Rettungsdienst zu entlasten, appelliert DRK-Rettungsdienstleiter Michael Wucherer an die Bevölkerung: „Jeder, der auf die geltenden Abstands- und Hygieneregeln achtet und sich impfen lässt, entlastet das System.“