Wie ein Rieseninsekt brummt das unbemannte Flugobjekt über die steilsten Esslinger Weinberge. Drüsendüsen zerstäuben im Tiefflug eine Flüssigkeit, die sich schimmernd auf die Rebstöcke senkt. Diese Drohne zerstört nicht, sondern bewahrt. Sie vernichtet nur, was den Wein vernichtet. Sie versprüht, was sonst mit der Hand am Arm – beziehungsweise am Pumpenschlauch – ausgebracht werden muss: eine Wasser-Fungizid-Mischung. Ein „Sau-G’schäft“ in den Esslinger Steillagen, sagt Wilfried Rapp. „Da braucht man kein Fitnessstudio.“ Da fährt die Hand manchmal auch an die andere Pumpe, die im Brustkasten.
Da braucht man kein Fitnessstudio.
Wilfried Rapp, Vorsitzender der Steillagen-Schutzgemeinschaft
Wilfried Rapp ist Vorsitzender der Steillagen-Schutzgemeinschaft Esslingen. Der Name ist Programm: Was geschützt werden muss, ist bedroht. Was die Steillagen bedroht, ist kein Hangrutsch, sondern die Unwirtschaftlichkeit. Weinbau in diesen stadtbild- und landschaftsprägenden Traditionslagen erfordert einen enormen Arbeits- und Personalaufwand, da landwirtschaftliche Maschinen nur äußerst begrenzt eingesetzt werden können. Der Ertrag ist kaum noch marktfähig. „Die Flasche Wein kostet in Deutschland im Schnitt drei Euro“, sagt Rapp. 60 Prozent des hierzulande konsumierten Weins werden ihm zufolge importiert aus Ländern mit plantagenartigen Rebflächen, wo die Gunst der Ebenen eine Steilvorlage für lukrative Massenproduktion ist. Anders als in schwäbischen Steilhängen, wo man auch Abseilen üben könnte.
Die Drohne kann’s schneller
Zum Beispiel an der Neckarhalde über dem Hengstenberg-Areal. Super landschafts- und denkmalgeschützt ist die rabiat abschüssige Weinbergflanke, die 700 Jahre alte Stützmauern terrassieren. Sieht grandios aus, wird mit jährlich 3000 Euro pro Hektar bezuschusst – „50 Cent pro Rebstock“, rechnet Rapp vor. Wirklich rentabel wird das Geschäft dadurch nicht; und würde es auch nicht, wenn die Flasche statt drei 13 Euro kostete. Immerhin bürgen die sonnigen Terrassen dank ihres besonderen Mikroklimas für besonders edle Tropfen.
Doch wirksam geschützt werden die Steillagen nicht durch High-End-Preise, sondern durch effektive Verringerung des Aufwands an Arbeit und Personal. Zumal Nachwuchs- und Personalmangel auf der Weinwirtschaft lastet. Auch in Esslingen wird absehbar in einigen Wengerterfamilien nicht die Familie, wohl aber das Wengertertum aussterben. Und dann verwildern als erstes die schwer zu bewirtschaftenden Steillagen, die rund 30 Prozent der Esslinger Rebflächen ausmachen, aber so etwas wie ihre weithin sichtbare Visitenkarte sind. Eine Kulturlandschaft würde sich in ödes Gestrüpp verwandeln.
Und mit der Drohne kommt nun der Segen von oben? Gewissermaßen. „Fürs Spritzen brauchen zwei Leute sieben Stunden pro Hektar“, erklärt Rapp. Die Drohne schafft’s in einer Stunde. Weshalb die Schutzgemeinschaft vor zwei Jahren ein solches Fluggerät angeschafft hat. Der Kaufpreis von 25 000 Euro dürfte sich längst amortisiert haben. Die Drohne steht allen Esslinger Wengertern, nicht nur den Mitgliedern der Teamwerk-Genossenschaft, zur Verfügung.
Menschen braucht es trotzdem
Sie fliegt zwar ohne Besatzung, aber nicht ohne Bodenpersonal. Nach zehn Minuten ist der Akku leer, der Metallbrummer muss landen und neu aufgeladen werden, der 30-Liter-Tank wird mit dem Antipilzmittel gefüllt. Die Flugbahnen selbst sind programmiert auf der Basis eines exakten Scans der Topographie. Niemand muss die Drohne steuern wie einen Modellflieger. Nur bei starkem Wind wird der Flugbetrieb eingestellt.
Aufwendig bleibt die Steillagen-Bewirtschaftung allerdings auch mit der modernen Technologie. An die Effizienz eines Traktors, der Hänge unter 30 Prozent Steigung befahren kann, kommt die Drohne bei weitem nicht heran. Auch muss gelegentlich von Hand nachgebessert werden. Denn wenn der Fungizid-Regen von oben kommt, erreicht er nicht immer die Trauben.
Aber warum überhaupt Fungizide? Weil sonst der echte und der unechte Mehltau den Wein vor der Ernte ernten. Die Nase wird trotzdem gerümpft:„Jeder, der sieht, dass g’schpritzt wird, zieht erscht mol de Zinka hoch“, sagt der Wengerter Jochen Kenner. „G’schpritzt“ wird freilich auch im biologischen Anbau, erklärt Kenner, und zwar sogenannte Kontakt-Pflanzenschutzmittel wie Kupfer- oder Schwefellösungen oder Mineralstoffe zur Pflanzenstärkung. Eine rein biologische Pilzabwehr wäre jedoch mit einem wesentlich größeren Aufwand verbunden.„Man müsste dann vor jedem Regen spritzen“, sagt der Wengerter. In den Steillagen ist das unter heutigen Bedingungen nicht machbar. Ein Kompromiss sind pilzresistente Sorten, sagt Franziska Binder, die aus einer Esslinger Obst- und Weinbauernfamilie stammt. Die Agribusiness-Studentin an der Universität Hohenheim sagt allerdings auch, dass die Marktakzeptanz von Cabernet Blanc, Cabernet Carbon oder Sauvignon Gris – der in Esslingen angebauten resistenten Sorten – noch nicht besonders groß sei. Und: „Nach rund zehn Jahren verlieren die Reben die Pilzresistenz. Der Forschungsstand dazu ist noch nicht so weit“, sagt Binder und startet ihre Drohne.

