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Schwangere sollen frei entscheiden

Protest Heute läuft ein bundesweiter Aktionstag gegen den „Abtreibungs-Paragrafen“ 218. Pro Familia aus Kirchheim unterstützt die Aktion. Von Andrea Rothfuß

Am 15. Mai 1871 wurden die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Reichsstrafgesetzbuch verabschiedet. 150 Jahre später sind Schwangerschaftsabbrüche nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches auch weiterhin rechtswidrig, bleiben aber straffrei. Für heute ist daher ein bundesweiter Aktionstag zum 150. Jahrestag des Paragrafen 218 ge- plant, bei dem zur Streichung der Paragrafen 218 und 219 a aus dem Strafgesetzbuch aufgerufen und eine Neuregelung des Rechts auf einen selbst bestimmten Schwangerschaftsabbruch gefordert wird.

Kathrin Wagner, Andrea Reicherzer und Joachim Elger von der Kirchheimer Beratungsstelle Pro Familia unterstützen diese bundesweite Aktion. In Kirchheim wird bereits seit vier Jahrzehnten zum Thema Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch beraten, unabhängig und konfessionslos, die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht. In Corona-Zeiten läuft die Schwangerschaftskonfliktberatung weiterhin durch persönliche Beratung vor Ort ab, aber auch die Beratung per Telefon oder Video ist ausreichend, um einen Beratungsschein zu bekommen. Dieser Schein ist wiederum Voraussetzung, um eine Abtreibung vornehmen lassen zu können. Wer sich diesbezüglich bei Pro Familia meldet, bekommt innerhalb von drei Tagen einen Termin.

„Oftmals sind die Frauen belas- tet, angespannt, haben selbst einen positiven Schwangerschaftstest gemacht oder vermuten, schwanger zu sein. Sie müssen sich erst einmal sortieren. Wir versuchen dann für Transparenz und Klarheit zu sorgen“, so Andrea Reicherzer, Leiterin der Kirchheimer Beratungsstelle. Wichtig sei es, ergebnisoffen zu beraten, denn die Beratung solle unterstützend wirken. „Jeder Fall ist sehr speziell, die Rahmenbedingungen individuell, manchmal verworren, natürlich spielen auch finanzielle und berufliche Unsicherheiten und die jeweilige Lebenssituation eine große Rolle“, erläutert ihre Kollegin, Sozialpädagogin Kathrin Wagner. Ziel sei es, zu ermuntern, nicht zu belehren oder zu bevormunden.

„Beratungsschein abschaffen“

Laut Jahresbericht wurden 2019 insgesamt 259 Beratungsgespräche durchgeführt, 38,2 Prozent der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatung in Anspruch genommen haben, waren zwischen 26 und 35 Jahre alt. Mit dem Beratungsschein wird dann bestätigt, dass die Schwangere eine Konfliktberatung in Anspruch genommen hat. Nun folgen drei Tage Wartezeit, denn zwischen dem Ausstellen des Beratungsscheins und dem Schwangerschaftsabbruch müssen drei volle Kalendertage liegen. Wohl mit dem Hintergedanken, dass die Frau nicht unter Schock oder Panik eine Entscheidung trifft. Die Berater von Pro Familia sehen diese dreitägige Wartezeit sehr kritisch. Man gestehe der schwangeren Frau dadurch nicht zu, verantwortungsvolle und tragfähige Entscheidungen zu treffen. Stattdessen könne es dazu kommen, dass diese, von außen beeinflusst, in den drei Tagen nochmals ihre Entscheidung überdenke.

Eine weitere Forderung von Pro Familia im Rahmen des bundesweiten Aktionstages ist es, die Pflicht auf den Beratungsschein abzuschaffen, „Wir machen uns stark dafür, dass diese Beratung freiwillig ist“, so Diplom Psychologe Joachim Elger. Er sorgt sich auch um die medizinische Versorgungslage, denn Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, finden oft keine Nachfolger. Deswegen fordert Pro Familia, dass Schwangerschaftsabbruch Teil der gynäkologischen Ausbildung werden soll. Ein Schwangerschaftsabbruch kostet zwischen 300 und 600 Euro, die Kosten eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs ohne medizinische oder kriminologische Indikation werden nicht von der Krankenkasse bezahlt. Man kann aber zum Beispiel aufgrund von Einkommensgrenzen bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf individuelle Kostenübernahme stellen.

 

Auszug aus dem Strafgesetzbuch

Paragraf 218, Schwangerschaftsabbruch:

Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.“

Paragraf 218 a, Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs:

Der Tatbestand des

§ 218 ist nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen.“

Paragraf 219, Beratung der Schwangeren in Not- und Konfliktlagen: „Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen.“

Paragraf 219 a, Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft:

„Wer öffentlich […] oder durch Verbreiten eines Inhalts […] seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs [...] anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.“aro