Weilheim · Lenningen · Umland
Schwerkranke Lenya nimmt mit Roboter am Unterricht teil

Medienzentrum Das achtjährige Mädchen aus Aich­wald ist schwer krank, wür­de aber nur zu ger­ne in die Schu­le ge­hen. Mit ei­nem Avatar, der auf ih­rem Platz sitzt, kann das nun möglich werden. Von Pe­tra Pau­li

At­men ist Schwerst­ar­beit für Lenya, wes­halb sie Un­ter­stüt­zung durch ei­ne Ma­schi­ne hat und ei­ne Mas­ke trägt. Die Acht­jäh­ri­ge hat das Kon­genita­le Myasthe­ne Syn­drom, ei­ne sel­te­ne ge­ne­ti­sche Krank­heit, bei der die Über­tra­gung von Ner­ven zu Mus­keln ge­stört ist und die sich in Schü­ben ver­schlech­tern kann. Lenya ha­t dau­er­haft Schmer­zen, muss teil­wei­se künst­lich er­nährt wer­den und be­nö­ti­gt rund um die Uhr Pfle­ge, er­zählt ih­re Mut­ter Sa­bi­ne Fi­scher.

Raus­ge­hen und mit an­de­ren spie­len – das ist nicht mög­lich. Wie viel Zeit der Fa­mi­lie, zu der auch Va­ter Ar­ne Fi­scher und Lenyas zwölf­jäh­ri­ger Bru­der ge­hö­ren, noch bleibt, da­für gibt es kei­ne ge­naue Pro­gno­se. Sie spre­chen of­fen über den Tod. „Der lie­be Gott bringt sein Pferd und nimmt mich mit“, er­zählt Sa­bi­ne Fi­scher, wie sich Lenya ih­ren Ab­schied aus­malt, im Him­mel sei sie dann ge­sund. Die Fa­mi­lie ver­sucht un­ter­des­sen, je­den Mo­ment zu ge­nie­ßen. „Wir möch­ten ihr Glück ge­ben, wo im­mer es geht“, sagt Sa­bi­ne Fi­scher.

Da­zu ge­hört auch der rund 30 Zen­ti­me­ter gro­ße Ro­bo­ter, den Jo­chen Keil, Lei­ter des Kreis­me­di­en­zen­trums Ess­lin­gen, an die­sem Vor­mit­tag vor­bei­bringt. Keil er­klärt Lenya, wie sie den Ava­tar, der of­fi­zi­ell AV1 hei­ßt, von ih­rem Ta­blet aus be­die­nen kann. „Sie möch­te un­be­dingt Freun­din­nen ha­ben“, er­zählt ih­re Mut­ter. Das klei­ne wei­ße Ge­rät, das per Tas­ten­ein­ga­be sei­nen Ge­sichts­aus­druck ver­än­dern und den Blick wen­den kann, soll ihr hel­fen, mit Gleich­alt­ri­gen in Kon­takt zu tre­ten. Der Ava­tar soll künf­tig für Lenya in die drit­te Klas­se der Grund­schu­le Aich­wald ge­hen. Mit­schü­ler wer­den das Ge­rät mit ins Klas­sen­zim­mer neh­men und es nach dem Schul­schluss wie­der auf­la­den, so­fern nö­tig. Geht es Lenya gut, kann sie sich zu­schal­ten und am Un­ter­richt teil­neh­men. So­bald das Ro­bo­ter­köpf­chen leuch­tet, ist sie da­bei. Blinkt er grün, möch­te sie et­was sa­gen, blau be­deu­tet, dass sie nicht an­sprech­bar ist, et­wa weil es ihr ge­ra­de nicht gut geht.

Lenya ist sicht­bar be­geis­tert von dem Ge­rä­te­kerl und bin­det ihm erst mal ein Hals­tuch um, da­mit er ein biss­chen mehr Per­sön­lich­keit be­kommt. Im Nu hat sie ver­stan­den, wie al­les funk­tio­niert. Die Acht­jäh­ri­ge ist cle­ver. Ob­wohl sie nur von zu Hau­se und nur, wenn sie sich gut ge­nug fühlt, un­ter­rich­tet wird, hält sie mü­he­los das Ni­veau der drit­ten Klas­se, be­rich­tet ih­re Mut­ter. So ver­gnügt sie auch wirkt – wie sehr sie der Be­such an­strengt, merkt man ihr erst an, als sie plötz­lich den Bal­da­chin über ih­rem Kran­ken­bett nach un­ten klappt und dar­un­ter ver­schwin­det. Es ist ihr Zei­chen, dass sie nicht mehr kann und un­be­dingt Ru­he braucht.

Lenyas Ava­tar und zwei wei­te­re hat der Ver­ein der Pal­lia­tiv-Ca­re-Teams im Kreis Böb­lin­gen un­ter an­de­rem mit Spen­den fi­nan­ziert. Der Ver­ein er­füllt kran­ken Kin­dern in der Re­gi­on letz­te Wün­sche und un­ter­stützt ih­re Fa­mi­li­en. So hat Lenya noch ein wei­te­res Pfle­ge­bett be­kom­men, das ihr im Wohn­zim­mer mehr Teil­ha­be am Fa­mi­li­en­le­ben er­mög­licht.

Insgesamt fünf Avatare stehen dem Kreismedienzentrum Esslingen somit zur Verfügung, die an Kinder und Jugendliche verliehen werden, wenn sie längere Zeit die Schule nicht mehr besuchen können. Die ersten beiden wurden mit Mitteln des Landkreises angeschafft, von denen einer seit einiger Zeit an der Kirchheimer Freihof-Realschule im Einsatz ist. Keil ist begeistert von der Technik, die so einfach wie wirkungsvoll sei. „Ich finde es magisch. Es ist eine richtige Interaktion möglich, obwohl das Kind nicht da ist“, sagt er, der Avatar mache die Kommunikation menschlicher und persönlicher. Kinder und Jugendliche hätten mit dem Avatar keinerlei Berührungsängste und er werde als Mitschüler akzeptiert. „Von Schülern kommt nie die Frage, warum wir nicht einfach einen Laptop mit Kamera benutzen“, berichtet Keil. Sie seien mit Digitalisierung aufgewachsen. „Avatar und Mitschüler – für sie ist das ein und dasselbe“, sagt der Medienexperte. Den kranken Mitschülern werde mit dieser aus Norwegen stammenden Idee sehr geholfen.

 

Avatare als kostenlose Leihgabe für Schulen

Mit Mitteln des Landkreises hat das Kreismedienzentrum zwei Avatare angeschafft, die bei Bedarf für einen bestimmten Zeitraum kostenlos an Schulen im Kreis verliehen werden. Familien, die Interesse haben, melden sich am besten zuerst bei ihrer Schulleitung. Jetzt sind drei weitere Geräte dazugekommen, die der Verein Palliativ-Care-Teams im Kreis Böblingen mit Spenden von Beschäftigten von Mercedes-Benz gekauft hat. Zusammen haben sie mit Garantie und einem Wartungsvertrag rund 22 000 Euro gekostet.

Die eingesetzten Avatare wurden von der norwegischen Firma No Isolation entwickelt. Die Geräte erfüllen alle Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung. Der Roboter, der von Menschenhand per App gesteuert wird und über eine Kamera und ein Mikrofon kommunizieren kann, ermöglicht soziale Interaktion.

Weil der Avatar mit einer Kamera ausgestattet ist, müssen aus Datenschutzgründen alle Schüler der Klasse und deren Eltern einwilligen. Sagt einer Nein, scheitert der Roboter-Einsatz. Bedenken, dass Daten in falsche Hände geraten, müsse man nicht haben, sagt Jochen Keil, Lei­ter des Kreis­me­di­en­zen­trums Ess­lin­gen: Die Technologie laufe über einen europäischen Server. Der Anwender könne auch nichts dokumentieren und ins Netz stellen. Wird etwa ein Screenshot gemacht, ist das Gerät automatisch gesperrt.

Bei den Lehrkräften rennt Jochen Keil spätestens dann offene Türen ein, wenn die feststellen, wie einfach die Bedienung ist. „Es ist nur ein Knopfdruck, man braucht keine Schulung und gar nichts“, versichert er. In Zeiten, in denen Lehrkräften und Schulleitun­gen immer mehr Aufgaben zugemutet würden, sei das entscheidend. pp