Teilhabe
Scout im Behördendschungel

Junge Menschen mit einer Behinderung tun sich oft schwer, die Hilfe zu finden, die ihnen zusteht. Eine Verfahrenslotsin im Landratsamt soll das ändern.

Ein Buch mit sieben Siegeln: Menschen mit einem Handicap sind bei der Beantragung notwendiger staatlicher Hilfen häufig überfordert. Foto: Carsten Riedl

Wie stelle ich meinen Antrag, wer ist dafür zuständig und welche Unterstützung gibt es überhaupt? Wer als junger Mensch mit einer Behinderung leben muss, ist häufig überfordert, sich im Dickicht der vielen Hilfsangebote und der damit verbundenen Antragsverfahren in Behörden zurechtzufinden. Die Fülle der Angebote, die Menschen mit einer Einschränkung gleichberechtigte Teilhabe am Alltag ermöglichen sollen, ist fast unüberschaubar. Rund 68 Millionen Euro gibt der Kreis Esslingen im Jahr für Leistungen in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe aus. Das gilt als vorbildlich, doch wie immer gilt: Jedes Angebot ist nur dann hilfreich, wenn man es auch findet.

Im Landratsamt gibt es dafür eine sogenannte Verfahrenslotsin, die als Scout im Behörden-Dschungel fungiert. Katrin Mark-Eyison ist seit gut einem Jahr damit beschäftigt, Hilfesuchende an die Hand zu nehmen und ihnen den Weg zu weisen. Das Angebot gilt bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Von der Lotsenfunktion sollen beide Seiten profitieren. „Wir wollen helfen, aber auch bei uns im Haus Doppel-Zuständigkeiten und Beratungs-Hopping vermeiden“, sagt sie. Exklusiv und aus freien Stücken bietet der Kreis diesen kostenlosen Service nicht. Er ist Teil einer grundlegenden Reform im Sozialrecht, mit dem der Bund vor vier Jahren den Grundstein für eine inklusive Jugendhilfe gelegt hat. Das Ziel: Die gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder und Jugendlicher, unabhängig von ihrer Behinderung, gesetzlich zu verankern. Dafür sollen Leistungen der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe, die im Erwachsenenalter greift, in einer Hand gebündelt werden. Katrin Mark-Eyison ist daher auch im Landratsamt als Brückenbauerin aktiv. Für die Behörden ist es ein aufwendiger Prozess, der in drei Stufen bis 2028 laufen soll. Landrat Marcel Musolf spricht von einer tiefgreifenden Reform und einem „Paradigmenwechsel“, der allerdings einen Haken hat: Das angekündigte Gesetz ist durch den Regierungswechsel in Berlin in Verzug geraten und soll, wie jetzt angekündigt, erst 2027 greifen. Das heißt, die Behörden stellen derzeit die Weichen ohne die dafür nötige Gesetzesgrundlage.

Hilfesuchenden und Antragstellern kann das egal sein. An ihrem Anspruch auf Unterstützung ändert sich nichts. Der Weg dorthin wird einfacher. Die Lotsin arbeitet als unabhängige Beraterin. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, ist die Stelle nicht bei den Sozialen Diensten angesiedelt, die für die Genehmigung von Anträgen zuständig sind, sondern beim Kreisjugendamt. Die Unterstützung hat allerdings Grenzen: Die Lotsin berät über Ansprüche, vermittelt Ansprechpartner, gibt Hilfestellung beim Ausfüllen von Anträgen und kann auf ausdrücklichen Wunsch sogar als Vertrauensperson zu Terminen begleiten. Eine Rechtsberatung, selbständige Akteneinsicht in laufenden Verfahren oder die gesetzliche Vertretung sind dagegen ausgeschlossen. „Wir beraten nur, eine Fallverantwortung oder -steuerung können wir nicht übernehmen,“ sagt Katrin Mark-Eyison.

Info Die Verfahrenslotsin im Esslinger Landratsamt ist erreichbar unter der Telefonnummer 0711/3902-41286 oder per Mail an mark-eyison.katrin@lra-es.de.

 

Unabhängige Beratung durch EUTB

Die EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) mit Sitz in Plochingen bietet ebenfalls kostenlosen Rat und Hilfe für Menschen mit einem Handicap oder mit chronischen Erkrankungen, unabhängig von Alter oder Art der Behinderung. Die Beratungsstelle ist erreichbar unter 07153/6166105 oder per Mail an teilhabeberatung@eutb-es.de. bk