Wie bewerten Sie die debattierte Verschärfung des Sexualstrafrechts?
SILVIA OBERHAUSER: Es ist ja ganz löblich, dass die Vorfälle von Köln dazu führen, dass bereits vorhandene Gesetzesvorlagen zur Verschärfung des Sexualstrafrechts wieder aus der Schublade gezogen werden. Viel wichtiger ist allerdings eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Ächtung von Sexismus, sexueller Belästigung und Gewalt gegen Frauen – und zwar völlig unabhängig davon, von wem dies ausgeht.
Welche Lücken gilt es aus Ihrer Sicht bei einer Reform daher zu schließen?
OBERHAUSER: Sexuelle Belästigung ist in Deutschland immer noch keine eigenständige Straftat. Und ob eine Vergewaltigung als strafbar gilt, wird zum Beispiel auch daran festgemacht, ob sich die betroffene Person ausreichend zur Wehr gesetzt hat. Das ist natürlich völlig inakzeptabel.
Eine Studie der EU-Grundrechteagentur ergab 2014, dass europaweit 22 Prozent der Frauen sexuelle Gewalt durch ihren Partner erfahren haben und 55 Prozent der Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr sexuell belästigt wurden. In Deutschland sind es sogar 60 Prozent. Was muss getan werden, um den Schutz von Frauen zu verbessern?
OBERHAUSER: Ich bezweifle, dass 60 Prozent reichen. Wenn wir verbale sexuelle Belästigungen hinnehmen, wird es kaum eine Frau geben, die diese Erfahrung nicht irgendwann einmal gemacht hat. Gewalt hat etwas mit Macht zu tun, und Macht wiederum mit Ungleichgewicht. Das heißt, wir müssen weiter daran arbeiten, dass Frauen auf allen Ebenen als gleichwertig, auf Augenhöhe, wahrgenommen werden – am Arbeitsplatz, in der Beziehung, im öffentlichen Raum und so weiter. Sexuelle Belästigung darf kein Kavaliersdelikt sein, sie muss geächtet werden und zwar gerade auch von Männern – von den vielen gut erzogenen und zivilisierten Männern, die die Würde einer Frau achten.
Gibt es im Sicherheits- und Lebensgefühl von Frauen Unterschiede zwischen den Generationen?
OBERHAUSER: Meine Wahrnehmung ist, dass junge Frauen sehr selbstbewusst und selbstverständlich den Lebensstil pflegen, den sie wollen, sich dabei wenig einschränken und einschüchtern lassen. Und übrigens, junge Frauen sind sehr wachsam, wenn es um Sexismus geht – ich habe den Eindruck, da gilt für sie „null Toleranz“ – eine gute Entwicklung.
Die Kölner Silvesternacht ist in aller Munde. Die Vorkommnisse rufen auch Themen wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder Nötigung im öffentlichen Raum in Erinnerung. Inwiefern wird dadurch vielleicht auch das Sicherheitsgefühl von Frauen in Kirchheim beeinflusst?
OBERHAUSER: Dies sind alles Themen, die durch Köln zwar ins öffentliche Bewusstsein gelangt sind, die aber immer schon da waren – auch in Kirchheim. Häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, sexistische Werbung, erniedrigende Darstellung von Frauen im Internet – dies hat alles mit der Silvesternacht von Köln nicht unmittelbar zu tun. Deshalb kann sich auch niemand damit zufriedengeben, wenn die Straftäter dieser Nacht gefasst und bestraft sind, die Diskussion über all die oben genannten Themen muss dann erst richtig beginnen.