Es gibt Ereignisse, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Ein geliebter Mensch wird aus dem Leben gerissen, schwebt in Gefahr oder begeht Suizid. Die Wohnung brennt, und man muss hilflos dabei zusehen, wie das Feuer alles zerstört, was einem wichtig ist. Es wimmelt von Polizei und Rettungskräften, die jedoch keine Zeit haben, sich um die Not der Angehörigen oder Augenzeugen zu kümmern. In solchen Momenten sind die Einsatzkräfte der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Landkreis Esslingen da. Sie verstehen sich als Ersthelfer für die Seele, stehen Angehörigen und Augenzeugen in den ersten Stunden bei und halten ihr Leid mit aus. Außerdem unterstützen und begleiten sie die anderen Einsatzkräfte während und nach belastenden Ereignissen.
Einer von ihnen ist Thomas Epperlein, evangelischer Pfarrer, leitender Notfallseelsorger im Kirchenbezirk Bernhausen und Helfer der ersten Stunde. Der Pool jener PSNV-Einsatzkräfte, die per Pieper alarmiert werden, sobald Beistand am Einsatzort gefragt ist, besteht aus Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen von Kirchen und dem Hilfsdienst Deutsches Rotes Kreuz (DRK). Die Helfer gehen grundsätzlich zu zweit und „gemischt“ in den Einsatz: ein kirchlicher Mitarbeiter und einer des DRK.
Thomas Epperlein ist fürs Pressegespräch in seine lilafarbene Jacke geschlüpft, die ihn als Seelsorger kenntlich macht. Roland Rath, Leiter der DRK-PSNV Nürtingen, hingegen trägt Orange mit einer lilafarbenen Weste darüber. Als Pfarrer auch in der Notfallseelsorge aktiv zu sein, macht für Thomas Epperlein Sinn. „In meinem Beruf habe ich immer wieder mit Tod und Sterben zu tun“, sagt er.
Dass er Christ ist, ist am Einsatzort jedoch zweitrangig. „Er kommt in erster Linie als Mensch, nicht als Pfarrer“, sagt Roland Rath über seinen Kollegen. Schließlich stehen die Notfall-Helfer allen bei, die in Not sind – unabhängig von Religion oder Herkunft. „Muslime, die schon lange hier sind, sind in der Regel sehr gut vernetzt. Die machen das Seelsorgerliche dann meist unter sich“, beobachtet Thomas Epperlein. Häufig sei schon der Imam vor Ort, wenn sie kämen. In solchen Fällen seien sie eher als Informationsbeschaffer gefragt. „Wir klären die nächsten Schritte, verschaffen Informationen, sagen ihnen, in welches Krankenhaus ihre Angehörigen kommen“, sagt Roland Rath. Ganz generell verstehen sich die PSNV-Helfer als „Bindeglied zwischen den Betroffenen und den Rettungskräften“: „Wir holen die Menschen aus der Einsatzsituation raus, damit die Rettungskräfte ihre Arbeit machen können“, sagt Tanja Baumann.
Die Psychosoziale Notfallversorgung ist sehr gefragt: Im vergangenen Jahr war sie im Schnitt jeden Tag landkreisweit im Einsatz. Allein im Altkreis Nürtingen konnten 175 Einsätze verzeichnet werden. 2022 waren es noch 139. Insgesamt wurden 934 Betroffene in akuten Krisensituationen und 189 Einsatzkräfte nach belastenden Erlebnissen betreut. „Dafür waren die PSNV-Helfer über 1000 Stunden auf den Beinen“, berichtet Koordinatorin Tanja Baumann, die ebenfalls regelmäßig vor Ort ist.
Anders, als man vermuten würde, trifft man die PSNV-Einsatzkräfte nicht hauptsächlich bei Verkehrsunfällen an. Am häufigsten sind sie bei Todesfällen im häuslichen Bereich gefragt. Tanja Baumann nennt ein Beispiel: „Stellen Sie sich ein älteres Ehepaar vor, das zusammen noch gut funktioniert hat. Jetzt stirbt einer.“ In einer solchen Situation könne man die Leute nicht allein lassen. „Wir versuchen dann, zu beraten und zu vernetzten“, sagt Baumann.
Roland Rath hat Verständnis für die Not der Angehörigen. „Der Lieblingsopa stirbt immer zu früh“, sagt er. Oft höre man den Satz: „Wir hatten noch so viel vor.“ Bei allem Verständnis: Eine zunehmende Unfähigkeit, mit dem Tod umzugehen, stellen alle drei PSNV-Helfer fest. „Deshalb veranstalten wir regelmäßig ‚Letzte Hilfe‘-Kurse“, sagt Tanja Baumann. Und Thomas Epperlein ergänzt: „Die Leute sind bei dem Thema zunehmend hilflos.“ Bei Muslimen sei eine Kultur des Umgangs mit dem Tod eher noch da.
Auch das Überbringen einer Todesnachricht steht bei den Einsatzzahlen ganz weit oben. Immer wieder begleiten PSNV-Einsatzkräfte Polizisten bei dieser schweren Aufgabe. „Die Beamten müssen danach weiter, aber wir bringen Zeit mit und können beraten und mit den Betroffenen über die nächsten Schritte sprechen“, sagt Tanja Baumann. Auch bei Suiziden oder Suizidversuchen, Bränden, Evakuierungen, Gewaltverbrechen, Vermisstensuchen oder Großschadensereignissen kann die Hilfe der Haupt- und Ehrenamtlichen gefragt sein. „Wir waren auch bei der Flutkatastrophe im Ahrtal mit Einsatzkräften vor Ort“, sagt Tanja Baumann. Solche Katastrophen seien zum Glück selten.
Weil für die Einsatzkräfte der PSNV der Umgang mit dramatischen Situationen und großer Not dazugehört, müssen sie gut für sich sorgen, betont Tanja Baumann. Dazu gehören für die Koordinatorin eine gute Ausbildung, Teamfähigkeit und die Möglichkeit, sich auszutauschen, die für die PSNV-Kräfte regelmäßig gegeben ist. Einsatzkräfte sollten in der Lage sein, sich von dem Gesehenen abzugrenzen. „Wenn ich nach Hause komme, lege ich die Einsatzkleidung bewusst ab“, sagt Baumann. Ihr hilft es außerdem, ihr Einsatzprotokoll sofort zu schreiben. „Andere gehen unter die Dusche oder mit dem Hund raus“, sagt sie. „Nein“ sagen gehört ebenfalls dazu. „Wenn ich selbst mal einen Tag habe, an dem es mir nicht gut geht, dann kann ich auch draußen keine gute Kraft sein. Dann sage ich ab, wenn ich alarmiert werde“, sagt Baumann.
Weitere Helfer werden gebraucht
Die Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Landkreis Esslingen sucht laufend Ehrenamtliche. Die Ausbildung dauert zweieinhalb bis drei Jahre, bei Menschen mit entsprechenden Vorkenntnissen auch kürzer. Vorausgesetzt wird die Bereitschaft, regelmäßig in Einsätze zu gehen. Mehr Informationen gibt es bei Koordinatorin Tanja Baumann unter der Telefonnummer 0 70 22/70 07 21 29. Ihre E-Mail-Adresse lautet Tanja.Baumann@elkw.de.
Gefordert werden folgende Voraussetzungen: die Fähigkeit, betroffenen Menschen zuzuhören; Kommunikationsfähigkeit; Bereitschaft, auch schwierige Gespräche zu führen; keine überhebliche Haltung anderen gegenüber; sicherer Umgang mit Widerständen; Konfliktfähigkeit; emotionale Intelligenz und Empathie; Schweigen aushalten können; intellektuelle Fähigkeiten, Distanz- und Reflexionsfähigkeit; Belastbarkeit, qualifizierter Umgang mit Stress; sicheres Auftreten; Teamfähigkeit. „Die Menschen sollten gut im Leben stehen, auch schon Lebenserfahrung gemacht haben, vielleicht auch schon die eine oder andere Krise außer der Pubertät durchgestanden haben“, sagt Tanja Baumann augenzwinkernd. Auch Menschen im Ruhestand sind willkommen, weil gerade in den Tagschichten Ehrenamtliche fehlen.
Eine Mitgliedschaft in der Kirche ist – anders als früher – nicht mehr Voraussetzung. „Es sollte aber eine grundsätzliche Akzeptanz der Kirche und der Arbeit der Hilfsorganisationen vorhanden sein“, sagt Thomas Epperlein. Man müsse offen für die Bedürfnisse von Angehörigen sein, die natürlich auch manchmal verlangten, dass man ein Gebet mit ihnen spreche. adö