Die Fenster und Türen sind drin. Das ist der letzte Stand der Dinge für Janna Hufnagel und Nathalie Rose. Jetzt heißt es für die beiden Frauen: Warten – und Daumen drücken, dass es nicht wieder zu Verzögerungen kommt, denn sie haben viel vor. Die 26-jährige Janna Hufnagel und die ein Jahr ältere Nathalie Rose sind freiberufliche Hebammen und wagen nun den Schritt in ein gemeinsames Business. Sie werden in Aichtal-Grötzingen das Geburtshaus Amma eröffnen – das erste im Kreis Esslingen. Ab März, so der aktuelle Plan, wollen sie werdende Mütter in ihren neuen Räumen empfangen.
Noch müssen die Gründerinnen sich aber in Geduld üben. Mit ihrem Geburtshaus inklusive Hebammenpraxis werden sie sich in ein neues Ärztehaus in Grötzingen einmieten, das sich allerdings noch im Bau befindet. Das Projekt ist zeitlich immer wieder zurückgeworfen worden. Entsprechend existiert vieles erst in den Köpfen der beiden Frauen. Ihr Geburtshaus soll zwei Vorsorgeräume, einen Entbindungsraum mit Gebärwanne und weiterem Mobiliar für eine möglichst entspannte Geburt sowie einen Saal für Geburtsvorbereitungskurse bekommen, der auch für externe Veranstaltungen wie Babymassage oder Schwangeren-Yoga genutzt werden kann. „Uns ist es wichtig, interdisziplinär zu arbeiten“, sagt Janna Hufnagel. Entscheidend sei für sie und Nathalie Rose zudem: ein zentraler großer Tisch, an dem sich Mitarbeiterinnen und Eltern austauschen können. „Wir wollen ein Zentrum für Familien sein, eine Anlaufstelle. Das ist uns ein großes Anliegen.“
Die zwei Frauen kennen sich seit ihrer Ausbildung – und waren bis vor Kurzem quasi Nachbarinnen. Janna Hufnagel lebt in Filderstadt-Sielmingen, Nathalie Rose ist jüngst weggezogen nach Aichtal. Beide arbeiten schon lang zusammen, etwa wenn zwei Hebammen benötigt werden oder wenn Vertretungen nötig sind. Die Spezialität der beiden sind Hausgeburten. Die werden statistisch gesehen laut Janna Hufnagel immer beliebter. Viele Frauen zögen eine persönliche Atmosphäre dem Sterilen einer Klinik vor. Entsprechend heimelig und ansprechend wollen die Gründerinnen ihr Geburtshaus einrichten. Vor Ort wird das Duo nicht allein sein. Eine dritte Hebamme ist bereits gefunden, eine vierte wird im November ihre Ausbildung beenden. Weitere Fachkräfte sollen dazustoßen – für die Geburtshilfe, aber auch für die Wochenbett-Betreuung.
Der Hebammen-Verband Baden-Württemberg hat laut der Vorsitzenden Jutta Eichenauer mehr als 3100 Mitglieder – davon mehr als 2600 aktive Hebammen. Hinzu kommen mehr als 230 Studierende und Schülerinnen. Die meisten Entbindungspflegerinnen im Land sind demnach auch Mitglieder im Verband. „Die Zahl steigt immer noch leicht, aber kontinuierlich, das Interesse am Hebammenberuf ist groß “, sagt Jutta Eichenauer, allerdings übten viele den Beruf nicht lange aus. Bereits nach vier bis sieben Jahren reduzierten die meisten Hebammen zeitlich oder hörten ganz auf. „Die Arbeitsbedingungen sind knackig, das ist seit Jahrzehnten so“, sagt sie. Der bürokratische Aufwand sei hoch, die Haftpflichtversicherungen seien teuer. Viele Hebammen seien daher nur geringfügig beschäftigt.
Janna Hufnagel und Nathalie Rose – letztere ist selbst Mutter eines zehnmonatigen Sohnes – bestätigen: Der Arbeitsaufwand ist enorm. Rose hat an diesem Tag Rufbereitschaft, ihr Handy liegt griffbereit vor ihr, zwei Frauen könnten Wehen bekommen. „Wenn das Telefon klingelt, bin ich weg“, sagt sie. Man müsse bereit sein, viel für den Beruf zu investieren. „Wir sind nicht so viele“, erklärt Hufnagel. Umso größer sei der Bedarf. Wohl auch deshalb wird dem Geburtshaus Amma schon Monate vor dem Start die Bude eingerannt. „Wir sind voll bis August. Ich hatte Anrufe, da wusste der Partner noch nicht mal Bescheid“, erzählt Hufnagel. Aus Stuttgart, Metzingen, selbst aus dem Pforzheimer Raum kämen die Anfragen. Voraussetzung: Für eine Entbindung im Geburtshaus müssen Mutter und Kind gesund sein.
Von ihrem Konzept sind die zwei Hebammen überzeugt. Aichtal liege günstig, auch die Anbindung an Kliniken sei gut, falls eine Verlegung nötig werde. „Ein Geburtshaus finanziert sich über Pauschalen, die die Kassen zahlen“, erklärt Hufnagel. Standard-Hebammenleistungen würden übernommen. Extras, etwa die Rufbereitschaft, würden teils bezuschusst, doch vielen Schwangeren sei die Eins-zu-eins-Betreuung das Geld ohnehin wert. „Laufen wird es sicherlich, auch wenn es am Anfang erst mal ein Invest ist“, sagt Nathalie Rose. Aber Kinder würden schließlich immer geboren, fügt ihre Geschäftspartnerin an.
Es gibt nur wenige Geburtshäuser im Land
Ansatz Ein Geburtshaus soll eine ruhige, störungsfreie Atmosphäre für werdende Mütter bieten. Die Räume sind oft mit einer Badewanne für Wassergeburten ausgestattet. Meist finden im Geburtshaus auch die Vorsorge und die Geburtsvorbereitung statt. Einige Stunden nach der Entbindung können Mutter und Kind nach Hause, wo sie von der Hebamme weiter betreut werden, heißt es seitens des Hebammen-Verbandes.
Anzahl Es gibt wenige Geburtshäuser in Baden-Württemberg. Die Homepage des Landes-Hebammen-Verbandes weist insgesamt lediglich zehn Einrichtungen in folgenden Städten aus (Stand April 2022): Backnang, Freiburg, Horb, Radolfzell, Rastatt, Ravensburg, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart, Tübingen, Villingen-Schwenningen. Laut der Hebamme Janna Hufnagel gibt es einige Standorte aber nicht mehr. Mehr zum Geburtshaus: www.geburtshaus-amma.de. car