Schulanfang um 7.50 Uhr oder erst um 9.40 Uhr? Die Klasse 7a des Plochinger Gymnasiums kann das an zwei Tagen in der Woche selbst entscheiden. Nach den Osterferien beginnen die Schülerinnen und Schüler mit einem Projekt, bei dem sie eine Art Gleitzeit einführen: Über einen Zeitraum von sechs Wochen wird es immer dienstags und freitags in den ersten beiden Schulstunden statt Englisch und Deutsch eine freiwillige Lernzeit geben. Die Siebtklässler bekommen dafür Aufgaben. Ob sie die in der Schule während der Lernzeit machen, in der ein Lehrer da ist und bei Bedarf hilft, oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt daheim, ist ihnen überlassen.
Zu müde zum Lernen
Die Idee für dieses Projekt hatte die Klasse, als es im Deutschunterricht um das Thema Argumentieren ging. Die Jugendlichen sollten aufschreiben, was sich aus ihrer Sicht ändern müsste, um die Schule zu verbessern. Auffallend oft stand da der Wunsch nach einem späteren Schulbeginn – es kam heraus, dass viele zu müde sind, um richtig lernen zu können. Aber muss Schule unbedingt früh anfangen – oder könnte man das auch anders machen? Schlafforscher sind tatsächlich der Meinung, dass die Schule für Jugendliche zu früh beginnt. Zusammen mit ihrem Deutschlehrer Till Richter begannen die Schülerinnen und Schüler, zu recherchieren. Die Plochinger Eltern haben positiv auf das Projekt reagiert. „Die größte Sorge war, ob ihre Kinder dadurch weniger lernen und im Stoff hinterherhinken könnten“, berichtet Till Richter. Aus diesem Grund gibt es nun die Abmachung, dass Eltern oder Lehrkräfte einzelne Kinder bei Bedarf dazu verpflichten können, an der morgendlichen Lernzeit teilzunehmen, die ja eigentlich auf Freiwilligkeit basiert. Der Schulleitung sei zudem wichtig gewesen, dass die betroffenen Fächer weiterhin auch in Präsenz und verpflichtend stattfinden, berichtet der Lehrer. Deshalb kamen nur Hauptfächer in Frage, weil die zwei Doppelstunden in der Woche unterrichtet werden.
Die Schülerinnen und Schüler erhoffen sich von dem Projekt, dass sie besser gelaunt und ausgeschlafen in den Unterricht kommen und sich das auch positiv auf die Noten auswirkt. Ob sich diese Erwartungen erfüllen, wird eine klasseninterne Arbeitsgruppe evaluieren. Zudem wird Till Richter hinterher den Wissensstand in einer Klassenarbeit prüfen.
Die Siebtklässler wollen ganz unterschiedlich mit ihrer Freiheit umgehen. „Aufstehen ist für mich kein Problem“, sagt beispielsweise Orlin Marquardt. Er hat deshalb vor, ganz normal zur ersten Stunde in der Schule zu erscheinen. Leonardo Otero Ribau will abwechseln: Mal kommt er früh, mal schläft er aus. „Nur so kann ich ja sehen, ob es einen Unterschied macht“, sagt er. Ähnliches plant sein Mitschüler Paul Ratzel: „Ich will mir immer nur freitags freinehmen.“ Dagegen will Silas Mittmann ausschließlich erst zur dritten Stunde kommen. „Ich mache die Aufgaben zu Hause viel schneller, kann dazu noch ausschlafen und habe mehr Energie“, zählt er die Vorteile auf. Hanna Eisele möchte eine ganz andere Variante ausprobieren. „Ich stehe trotzdem früh auf, mache aber die Aufgaben daheim“, erklärt sie.
Vorteile, aber auch Mehrarbeit
Für den Deutschlehrer hat die freiwillige Lernzeit weitere Vorteile. Sie könne zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, weil einzelne Kinder in der Lernzeit besser unterstützt werden könnten. Die Jugendlichen würden wichtige Kompetenzen wie Selbstorganisation trainieren und hätten mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Für die Lehrkräfte aber bedeutet die Gleitzeit wohl Mehrarbeit. „Ich muss ja ganz anders unterrichten und die Stunden neu vorbereiten“, erläutert Till Richter.
Völlig offen ist, ob der spätere Unterrichtsbeginn am Plochinger Gymnasium, das auch G-9-Modellschule ist, irgendwann tatsächlich eingeführt wird. „Es ist ein spannendes Experiment und eine große Chance“, sagt der Schulleiter Heiko Schweigert. Er hält es sogar für denkbar, dass die freiwillige Lernzeit teilweise den Lehrermangel abfedern könnte, weil Kapazitäten frei oder anders verteilt werden.