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Sieht die Schwäbische Alb bald aus wie die Provence?

Forschung Denkendorfer Wissenschaftler testen den Lavendelanbau unter hiesigen ­Bedingungen. Die Experten wollen die gesamte Pflanze nutzen. Von Janey Schumacher

Violett leuchtende Lavendelfelder sind eigentlich charakteristisch für die Provence. Doch die Pflanzen, die der Landschaft im Südosten Frankreichs ihren besonderen Charme verleihen, werden seit einiger Zeit auch in der Region angebaut – zunächst für eine Machbarkeitsstudie. Seit etwa zwei Jahren beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf sowie Forschende der Universität Hohenheim mit dem Anbau von Lavendel in heimischen, also süddeutschen, Gefilden. Gesetzt wurden die Pflanzen in Kooperation mit der Firma Naturamus an drei Standorten – einer davon ist der Sonnenhof bei Bad Boll.

 

Feine Fasern sind für Kleidung geeignet, grobe für technische Anwendungen.
Thomas Stegmaier
Projektleiter bei den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung

 

Ziel ist es, Lavendelsorten und energieeffiziente Methoden zu entwickeln, um ätherische Öle zu gewinnen. Ein erstes Zwischenfazit steht bereits fest: Die Pflanze kann auf der Schwäbischen Alb kultiviert werden. Ob mit dem Alb-Lavendel auch ein ätherisches Lavendelöl produziert werden kann, das den Standards entspricht oder vergleichbar ist, „prüfen wir nun im größeren Stil in der kommenden Verarbeitung“, sagt Maria Tippmann, die das Projekt seitens des Unternehmens Naturamus begleitet. Die ätherischen Öle sind Bestandteil von Arzneimitteln und Inhaltsstoffe in der Naturkosmetik. Der Vorteil des Anbaus vor Ort liegt auf Hand: Die ätherischen Öle müssen nicht aufwendig importiert werden, das kann Kosten sparen und die Umwelt schonen. Bei der Destillation bleiben Reststoffe zurück, die ebenfalls weiter verarbeitet werden können – etwa die Lavendelstängel. Die Forscherinnen und Forscher haben untersucht, wie die darin enthaltenen Fasern gewonnen werden können, um sie etwa bei der Produktion von Textilien einzusetzen. Das Ergebnis: Es ist möglich, dass in der Region Lavendel angebaut wird, der für die Destillation ätherischer Öle sowie die Faserherstellung genutzt werden kann.

Entscheidend ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DITF, wie die Fasern aufgebaut sind. Die Länge, die Feinheit sowie die Festigkeit der Faserbündel entscheiden über deren Verwendungsmöglichkeiten. „Feine Fasern sind für Bekleidung geeignet, gröbere Faserbündel für technische Anwendungen“, sagt der Projektleiter Thomas Stegmaier von den DITF.

Zunächst untersuchten die Denkendorfer Forscherinnen und Forscher im Labor, wo sich die Fasern genau befinden. Denn diesbezüglich unterscheide sich Lavendel zum Beispiel von Hanf, sagt der Wissenschaftler Jamal Sarsour. Er untersuchte verschiedene Vorbereitungstechniken und Methoden, um aus dem Material Lang- und Kurzfasern herzustellen. Anschließend musste eine Methode gefunden werden, um die pflanzlichen Stängel mit ihren Faserbündeln aufzuschließen. Innerhalb eines Faserbündels sind die verholzten Einzelfasern fest durch pflanzlichen Zucker – das Pektin – verbunden. „Wir haben herausgefunden, dass die Fasern durch Enzyme und Mikroorganismen am besten aufgeschlossen werden können“, sagt Sarsour.

Autoteile aus Lavendel

Die Fasern, die auf diese Weise gewonnen werden konnten, sind Grobfasern und damit laut Sarsour schwer zu spinnen. Um ein feineres Garn herzustellen, um etwa T-Shirts zu produzieren, müsste man eine Mischung verwenden. Denkbar sei hier Garn, das aus 50 bis 70 Prozent Lavendel und zu den anderen Anteilen aus Baumwolle bestehen könnte. Garn, das aus den groben Fasern gesponnen wird, kann aber ebenfalls verwendet werden, etwa bei sogenannten Faserverbundmaterialien. Anwendungsgebiete sind beispielsweise Schalen oder die Innenverkleidung von Autotüren.

Mit den ersten Ergebnissen der Machbarkeitsstudie zeigen sich die Verantwortlichen bei den DITF zufrieden. Insgesamt seien die Chancen für Produkte mit Lavendelfasern auf dem Markt gut: Regionale Wertschöpfung und ökologisch und fair erzeugte Textilien würden im Trend liegen – nicht nur bei Bekleidung, auch bei technischen Textilien. Die für den Leichtbau so wichtigen Faserverbundwerkstoffe können auch mit nachwachsenden Naturfasern hergestellt werden wie zum Beispiel bereits mit Hanf oder Flachs. Selbst aus Hopfengärresten wurde an den DITF bereits Faserverbundmaterial hergestellt. Fasern aus den Reststoffen von Lavendel könnten ein weiterer natürlicher Baustein für Hightech-Anwendungen sein.

Auf den drei Lavendelfeldern wird derzeit beobachtet, welche Sorte sich unter welchen Bedingungen etabliert. Angebaut worden seien drei französische sowie zwei bulgarische Lavendelsorten, sagt Carolin Weiler von der Universität Hohenheim. Dieses Jahr soll die erste größere Ernte stattfinden. Dann werde sich zeigen, welche Sorte für welchen Standort besonders gut geeignet ist.

 

Lavendelanbau und Forschung

Die Deutschen Institu­te für Textil- und Faserforschung haben ihre Wurzeln in Reutlingen, wo textile Ausbildung und Forschung Tradition haben. Dort wurde 1855 auf Initiative der Industrie und des Königreichs Württemberg eine Webschule gegründet, aus der 1891 eine Fachschule für Spinnerei, Weberei und Wirkerei hervorging. In ihrer Geschichte waren die Abteilungen zeitweise auch in Stuttgart-Wangen ansässig. Heute hat das Institut seinen Sitz im Körschtal und ist mit der Universität Stuttgart verbunden.

Lavendel ist eine der bekanntesten Heil- und Duftpflanzen. Bereits seit der Antike spielt der Lippenblütler eine Hauptrolle in Naturheilkunde und Phytotherapie. Nun sollen auch Reststoffe wie etwa die Stängel in der Industrie Verwendung finden. jas