Schweigen oder die Stimme erheben? Hermann Bauer hat lange hin und her überlegt. Schließlich hat sich der ehemalige Bürgermeister Weilheims fürs Reden entschieden. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass er als einziger noch lebender Ehrenbürger der Stadt mit seiner Meinung zum geplanten Gewerbegebiet Rosenloh und zur Ansiedlung des Brennstoffzellenherstellers Cellcentric hinter dem Berg halten möchte: „Eine Chance wie diese bekommen die wenigsten Städte – und sie bekommen sie auch nur einmal“, betont er. „Nun gilt es, sie zu nutzen“, ruft er dazu auf, beim Bürgerentscheid am 24. April für das Gewerbegebiet Rosenloh zu stimmen.
„Das Gewerbegebiet war 1999 schon angedacht“, sagt er. Ebenso die Umgehung im Norden. „Der Nutzen der Entlastungsstraße ist hoch und bringt nicht nur für das Gewerbegebiet Vorteile, sondern für die ganze Stadt.“ Fest steht für ihn: Weilheim braucht Flächen für örtliche Unternehmen – es muss aber auch die einmalige Gelegenheit ergreifen und Standort für die „grüne“ Brennstoffzellenfabrik werden. „Wir haben heute in Weilheim Wohlstand und gute Verhältnisse. Wollen wir das dauerhaft behalten, müssen wir uns stetig weiterentwickeln“, sagt der 77-Jährige und betont: „Stillstand bedeutet Rückschritt.“
Mit Cellcentric klopfe nun ein zukunftsfähiges Unternehmen an, das mit der Produktion von Brennstoffzellen zum Klimaschutz beitrage. „Das Joint Venture von Daimler und Volvo wird auch Umsätze und Erträge generieren und Steuern zahlen“, ist er überzeugt. Dabei zählen aus Sicht von Hermann Bauer vor allem die langfristige Entwicklung und qualifizierte Arbeitsplätze für die Zukunft. „Es geht um unsere Enkel“, sagt er.
Wer nun Sorge vor Wandel hat oder jetzt schon nervös auf ein eventuelles Scheitern der Brennstoffzelle blickt, dem empfiehlt er einen Blick zurück in die industrielle Geschichte des Städtles. „Es hat schon immer Wechsel gegeben und es wird auch weiterhin Wechsel geben.“ Um nur zwei Beispiele zu nennen: das Textilunternehmen Faber & Becker und Landmaschinen Rau.
Industrieller Wandel in Weilheim
1884 startete mit Faber & Becker die eigentliche Industrialisierung in Weilheim. Zu Spitzenzeiten arbeiteten in der Fabrik in der 1950er und 1960er Jahren rund 400 Menschen. In den 1990er Jahren kam das Aus. „Jetzt haben wir dort Rewe und Aldi“, sagt Hermann Bauer. Auch bei Landmaschinen Rau waren Anfang der 90er Jahre vor der Insolvenz des Unternehmens 500 Mitarbeiter allein in Weilheim beschäftigt. Später siedelten sich neue Betriebe auf der Fläche an, unter anderem TTS.
Die Kritik am Flächenverbrauch hat der ehemalige Stadtchef zum Anlass genommen, Zahlen zusammenzustellen. Sein Fazit: „Weilheim hat seine Hausaufgaben gemacht, was den Landschaftsschutz angeht. Was es zu schützen gibt, wurde bereits unter Schutz gestellt.“ Alles in allem, so hat Hermann Bauer berechnet, sind von der 2650 Hektar großen Gemarkung Weilheim nur 16 Prozent mit Gebäuden und Straßen bebaut. 60 Prozent, also über 1600 Hektar, stehen unter Natur- oder Landschaftsschutz. Die Vogelschutzgebiete, in denen ebenfalls nicht gebaut werden darf, sind sogar noch umfangreicher.
Was den Vogelschutz angeht, so betrachtet Hermann Bauer das Gebiet Rosenloh als unproblematisch. Ein Blick auf die Karte mit den Brutplätzen bedrohter Vogelarten aus dem Jahr 2004 zeigt: Wendehals, Neuntöter, Halsbandschnäpper und Co. fühlen sich auf der Markung Weilheim zwar äußerst wohl – im Gebiet Rosenloh brüten sie aber nicht. Ausgenommen ist die Streuobstwiese im Osten, die von der Gewerbebebauung ausgenommen ist.
Beim Landschaftsschutz die Nase vorn
Beim Vergleich mit dem gesamten Kreis Esslingen und dem Nachbarlandkreis Göppingen habe das Städtle die Nase sogar weit vorn: „In Weilheim stehen 75 Prozent von Wald und freiem Feld unter Natur- oder Landschaftsschutz. Im Kreis Esslingen sind es lediglich 48 Prozent, im Kreis Göppingen sogar nur 29 Prozent.“
Genau 50 Jahre ist es her, dass Hermann Bauer Weilheims Bürgermeister wurde. 37 Jahre blieb er im Amt. Wenn er zurückblickt, wie viele Gewerbeflächen in dieser Zeit neu dazu kamen, kommt er auf 35 Hektar: der zweite Teil des Gewerbegebiets Au, eine Restfläche im Tobelwasen von drei Hektar und das Gewerbegebiet Zwischen den Wegen mit 17 Hektar. „In den vergangenen 13 Jahren sind keine Gewerbegebiete mehr ausgewiesen worden“, geht er auf die bisherige Amtszeit seines Nachfolgers Johannes Züfle ein. Sein Fazit: Leichtfertig ist man in Weilheim mit Flächen noch nie umgegangen.