Zwischen Neckar und Alb
So gefährlich leben „Smombies“

Verkehr Der Auto Club Europa warnt: Immer mehr Leute haben beim Überqueren einer Straße nur Augen für ihr Telefon. Die Polizei sieht im Kreis Esslingen allerdings noch keinen Handlungsbedarf. Von Matthäus Klemke

Der Kopf ist gesenkt, die Daumen tippen wild auf dem Display, in den Ohren stecken die Kopfhörer. Ein mittlerweile normaler Anblick in deutschen Städten: Jugendliche, die vollkommen versunken in ihren Telefonen kaum noch etwas von ihrer Umgebung mitbekommen. Smombies - eine Wortschöpfung aus „Smartphone“ und „Zombie“.

Wurden Smombies anfangs noch belächelt, werden sie mittlerweile vor allem in einem Zusammenhang genannt: steigende Unfallzahlen. Immer wieder sind Fußgänger in Verkehrsunfälle verwickelt, weil sie von ihrem Smartphone abgelenkt werden - das behauptet zumindest der Auto Club Europa (ACE) und fordert jetzt Konsequenzen.

Der zweitgrößte Autoklub Deutschlands hat bei seiner diesjährigen Verkehrssicherheitsaktion „Finger weg - Smartphone im Verkehr“ sechs Monate lang das Verhalten von rund 140 000 Fußgängern an Ampeln und Zebrastreifen beobachtet. Das Ergebnis: Mehr als jedes vierte Mädchen (27,3 Prozent) und fast jeder vierte Junge (23,5 Prozent) starrt beim Überqueren der Straße aufs Handy. Bei den Erwachsenen sind es 14 Prozent der Frauen und 16,4 Prozent der Männer.

Die Dekra-Unfallforschung kam im vergangenen Jahr zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei einer Untersuchung in sechs europäischen Hauptstädten kam heraus, dass 17 Prozent der Fußgänger das Smartphone nutzen, während sie über die Straße laufen. Dabei werden jüngere Teilnehmer tendenziell häufiger von ihrem Telefon abgelenkt als ältere. Die Unfallforschung konnte auch geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen: Weibliche Fußgänger waren vor allem mit Tippen beschäftigt, männliche Teilnehmer hatten deutlich häufiger Kopfhörer in den Ohren. „Besonders erschreckend ist, dass zahlreiche Leute durch ihr Smartphone so abgelenkt sind, dass sie sogar rote Ampeln ignorieren“, sagt Harald Kraus, Vorsitzender des ACE Kreis Göppingen-Esslingen.

Bislang sind laut ACE Alkohol am Steuer und überhöhte Geschwindigkeit die größten Unfallgefahren im Straßenverkehr gewesen. Nun komme mit der Ablenkung durch das Smartphone ein dritter Faktor hinzu. Lange Zeit sei die Zahl der Verkehrstoten kontinuierlich gesunken. Dies ist vorbei, behauptet der ACE in einer Pressemitteilung. Ist das Smartphone schuld? Bislang wird es als Unfallursache nicht extra erfasst, „aber es liegt nahe“, so der ACE.

Beim Autoklub möchte man noch nicht so weit gehen, ein Handy-Verbot für Fußgänger zu fordern. Sollten die Appelle allerdings nicht greifen, dürfe man Sanktionen in Form von Strafen nicht mehr ausschließen.

Die Polizei im Kreis Esslingen sieht hingegen keinen Handlungsbedarf. „Generell nehmen die Unfallzahlen mit Fußgängern im Kreis Esslingen nicht zu, sie sind sogar zurückgehend“, erklärt Michael Schaal von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Reutlingen. Wurden 2014 im Landkreis noch 169 Fußgänger bei Unfällen verletzt oder getötet, waren es ein Jahr später 164 Personen. 2016 zählte die Polizei 160 Personen. Auch für das Jahr 2017 seien bisher keine „gravierenden Änderungen“ festzustellen. Das passt zu den deutschlandweiten Zahlen, die das Statistische Bundesamt jetzt für 2017 veröffentlicht hat. Basierend auf den Daten von Januar bis September wird die Zahl der Verkehrstoten voraussichtlich um ein Prozent auf rund 3 170 sinken - der niedrigste Stand seit Bestehen der Bundesrepublik.

Wie bedroht leben Smombies also wirklich? Zumindest verhalten sie sich riskant genug, um Städte zur Kreativität zu zwingen, wenn es um ihren Schutz, und in einigen Fällen ihre Umerziehung, geht. So setzt man in Frankfurt auf Abschreckung. Plakate mit Sprüchen wie „Solange du mit Kopfhörern durch meine Welt rennst, werde ich dich dafür bluten lassen“ sollen auf drastische Art ein Bewusstsein für die Gefahren im Straßenverkehr schaffen. In Augsburg und Köln warnen Bodenlampen die „Generation Kopf unten“ vor Straßenbahnen.

In der chinesischen Millionenstadt Chongqing wurde sogar ein „Smartphone-Bürgersteig“ eröffnet, auf dem sich Handy-Nutzer gefahrlos bewegen können. Nachdem in den USA im vergangenen Jahr 6 000 Fußgänger starben, hat Honolulu als erste Stadt in den USA die Ablenkung durch elektronische Geräte auf dem Zebrastreifen unter Strafe gestellt. Bis zu 99 Dollar kann ein Verstoß kosten. Hierzulande hat sich der Fachverband Fußverkehr Deutschland bereits vor einigen Jahren für eine solche Regelung ausgesprochen, allerdings ohne Erfolg.