Die Bücher, die Matthias Raum zur Restauration in Händen hält, sind teilweise mehr als 1000 Jahre alt. „Wir restaurieren gerade Bücher aus dem achten Jahrhundert“, erzählt der Restaurator. „Die wurden von Mönchen auf Pergament geschrieben, und das so sauber, dass man es am Computer nicht genauer hinkriegen würde.“
Matthias Raum liebt seinen Beruf und ist begeistert, was für Geschichten die Bücher und Bilder erzählen, die bei ihm landen. Dabei können er und sein Team den Inhalt gar nicht unbedingt lesen. „Die sind in Alt-Latein geschrieben“, so der Buchbindermeister. „Das ist auch ganz gut, sonst würden wir beim Lesen die Zeit vergessen“, sagt er. Die historischen Zeugnisse erzählen aber auch ohne Worte etwas über ihre Zeit. So ist an den schweren Holzdeckeln der Bücher aus dem achten Jahrhundert auch eine schwere Kette befestigt. „Die wurde ans Pult gekettet, weil die Bücher schon damals unheimlich wertvoll waren.“
Perfekt zum Blumenpressen
Oft handelt es sich bei den alten Büchern um Bibeln oder bibelerklärende Schriften. In den alten Bibeln haben die Leute damals unter anderem Haarbüschel von Verstorbenen gelegt. „Oft finden wir auch Pfeifentabakspuren und gepresste Blumen zwischen den Seiten“, erzählt Raum. „Die Bibeln waren ja sehr schwer und daher zum Blumenpressen bestens geeignet.“
In alten Bibeln hat man früher auch oft Hochzeiten, Geburten und Todestage vermerkt. „Da sind oft schwere Schicksalsschläge dabei, wie Hungersnöte oder dass eine Mutter zwölf Kinder hatte und sieben davon sind als Kleinkinder gestorben“, so der Restaurator. „Das geht einem dann schon zu Herzen.“
In Akten aus dem Zweiten Weltkrieg finden die Restauratoren manchmal sogar Granatsplitter. Ein Gesangbuch hat seinerzeit eine Schusspatrone abgefangen und damit wahrscheinlich seinem Besitzer durch Zufall das Leben gerettet. Einmal haben Matthias Raum und sein Team auch eine spannende Entdeckung gemacht. „Da hatte jemand in einer mehrere Hundert Jahre alten Bibel sein Gewissen erleichtert und handschriftlich gestanden, dass er einen Mord begangen hat.“ Was damals wirklich passiert ist, bleibt wohl in der Vergangenheit verborgen.
Für die nächsten Generationen
Während die menschlichen Schicksale alle schon weit in der Vergangenheit liegen, ist es an Matthias Raum, die Seiten der Bücher am Leben zu halten. „Das ist auch das Schöne an meinem Beruf, dass wir ein Kulturgut so bearbeiten können, dass es für die nächsten Generationen erhalten bleibt.“
Seinen Betrieb hat Matthias Raum von seinem Vater Helmut übernommen. „Das war eigentlich nicht geplant, aber als ich mitbekommen habe, was der Beruf bedeutet, hat es mich so begeistert, dass ich 1992 mit in der Werkstatt gearbeitet und 2008 den Betrieb übernommen habe.“
Der Restaurator hat Freude daran, mit den Händen zu arbeiten. „Tatsächlich sind 95 Prozent unserer Tätigkeit Handarbeit.“ Auch die Übergabe der restaurierten Bücher an ihre Besitzer sei immer wieder eine Freude: „Es ist schön zu sehen, wenn die Leute ihre Bücher oder Bilder freudestrahlend wieder in Empfang nehmen.“
Wertvolle Fracht an Bord
Viele Arbeiten werden für Landesarchive, Adelsarchive oder Kunsthäuser aus ganz Deutschland in Auftrag gegeben. Aber immer wieder sind auch Privatleute dabei, die zum Beispiel eine Bibel aus dem Familienbesitz restauriert haben möchten. Oft holen Matthias Raum und seine Angestellten die zu restaurierenden Gegenstände ab. „Der Transport findet immer in gesicherten Fahrzeugen und zu zweit statt, falls einmal einer tanken oder auf die Toilette muss.“ Schließlich ist wertvolle Fracht an Bord. Die Bücher selbst werden in einer feuerfesten Box transportiert. Dabei ist Feuer gar nicht der schlimmste Gegner alter Schriften. „Wenn ein Buch in Brand gerät, verkohlt es immer außen herum. Im Buchinneren kommt ja kein Sauerstoff und deshalb auch kein Feuer hin.“
Keine zweite Chance
Anders verhält es sich mit Wasser. „Das geht immer durch. Deshalb muss man es ganz schnell in Vakuum-Trockenschränken trocknen oder innerhalb von 24 Stunden einfrieren. Dann ist der Verfall erst einmal gestoppt.“ Sonst kommt es nämlich zu einer Schimmelbildung. Der sei immer dann besonders schlimm, wenn man ihn nicht bemerkt. Bei Schimmel verwenden wir keine Chemie. Der wird unter der Sicherheitswerkbank abgewischt oder gesaugt.“ Manchmal sind auch Insekten bei der Buchzerstörung am Werk. „In den Einbanddeckeln sitzt gerne der Holzwurm“, erklärt der Spezialist, „und im Papier der Papierwurm.“
Der Endgegner des Buchrestaurators ist aber das Papierfischchen. „Das ist wie das bei uns bekannte Silberfischchen und kommt meist in nordischen Ländern vor. Sie können ganze Bücherbestände vernichten. Man nimmt ein Buch aus dem Regal, und alles zerbröselt zu Staub. Da kann man nichts mehr retten.“
Die „Rettung“ eines Buches braucht Zeit. Zunächst wird das Buch im „Schmutzraum“, einem Reinluftraum, gereinigt. In den Arbeitsräumen und im Trockenraum wird das Buch zerlegt. Im Nassraum werden Fehlstellen mit Papierfasern aus altem Rezept und einem hohen Anteil von Baumwolle ergänzt. Der Trocknungsprozess dauert mehrere Tage. „Damit das Papier nicht wellig wird.“
Viele der alten Dokumente werden auch digitalisiert. Bei der Arbeit sind Matthias Raum und seine 15 Mitarbeiter immer hoch konzentriert. „Wir haben Unikate auf dem Tisch liegen. Wir haben keine zweite Chance.“ Umso größer die Freude, wenn die bearbeiteten Seiten nach der Trocknungsphase wieder ins Buch eingebunden und dem Besitzer übergeben werden können.