Zwischen Neckar und Alb
Sogenannte Spaziergänger: „Sie beharren nur auf ihren Rechten“

Interview Ulms Polizeipräsident Bernhard Weber klagt über die Zusatzbelastung durch die „Spaziergänge“.

Region. Seit zwei Jahren hat die Polizei eine Zusatzbelastung zu verkraften. Erst waren es die Demonstrationen der Querdenker, momentan sind es vor allem die „Spaziergänge“, die an vielen Orten, weil unangemeldet, große Kräfte binden. Polizeipräsident Bernhard Weber äußert sein Unverständnis in einem Interview.

Hat Corona die Polizeiarbeit verändert?

Bernhard Weber:Deutlich. Vor allem die sogenannten Spaziergänge belasten uns enorm. Weil es keine Anmeldungen gibt, gibt es für uns auch keine Ansprechpartner. Wir haben also keinerlei Informationen darüber, was wann wo passiert. Wir müssen als Polizei immer parat sein, was nicht mit dem regulären Dienst zu schaffen ist. Es braucht immer starke Zusatzkräfte, die wir aus ihrer Freizeit holen müssen.

Warum werden die Versammlungen nicht angemeldet?

Weber:Ich kann es nicht verstehen, warum sich niemand bereit erklärt, diese Versammlungen anzumelden. Das sind ja keine Spaziergänge, das wissen wir alle. Das Versammlungsrecht ist in Deutschland ein hohes, grundgesetzlich verankertes Gut und unsere Aufgabe ist es, Versammlungen zu schützen. Das können wir aber nur dann, wenn sie angemeldet sind. Sind sie aber nicht und es ist offensichtlich das Ziel, an möglichst vielen Orten im ganzen Land zeitgleich solche Versammlungen abzuhalten. Letztlich schwächt dieses Vorgehen die Polizeiarbeit, weil sie gar nicht so viele Kräfte haben, um überall zu kontrollieren. Ich habe kein Verständnis dafür. Klar ist, ein Versammlungsleiter hat auch eine Verantwortung. Er muss Ordner stellen und dafür sorgen, dass Auflagen eingehalten werden. Dieser demokratischen Verantwortung will sich ganz offensichtlich niemand stellen. Die Leute beharren nur auf ihren Rechten.

Wer im Supermarkt keine Maske trägt, wird bestraft, bei den „Spaziergängen“ greift die Polizei nicht ein.

Ich verstehe, dass das die Menschen kritisch sehen. Aber es ist auch nicht so, dass die Polizei überhaupt nicht tätig wird. Wir schauen beispielsweise während der Versammlungen nach den informellen Versammlungsleitern. Die holen wir uns hinterher. Wenn wir die direkt aus den Zügen rausholen würden, hätten wir schnell eine aggressive Stimmung.

Können Sie persönlich die Proteste verstehen?

Ich hab’ dafür überhaupt kein Verständnis, wenn man so tut, als sei das alles harmlos. Ich war doppelt geimpft, stand kurz vor meinem Booster und habe mich trotzdem infiziert. Ich hatte hohes Fieber, Geschmack- und Geruchssinn weg, bei mir ging es auch aufs Gehör. Ich will mir nicht ausmalen, wie es verlaufen wäre, wenn ich gar nicht geimpft gewesen wäre.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Bewegung von Rechts unterlaufen wird?

Bundesweit betrachtet sehe ich die Gefahr als relativ hoch an. Die „Spaziergänge“ finden nicht aus heiterem Himmel statt. Da steckt ja jemand dahinter. Es gibt Erkenntnisse, dass dies auch Akteure aus dem rechten Spektrum sind. Mir machen diejenigen Sorgen, die da mitlaufen, weil sie diese „Spaziergänge“ als eine Art Event betrachten und sich dabei unter Umständen radikalisieren lassen. Sie haben sich zu einem Forum auch für allerlei skurrile Menschen entwickelt.

Wäre ein generelles Verbot für die Polizei hilfreich?

Die Frage ist doch, was geschieht, wenn solche „Spaziergänge“ verboten werden und sie finden trotzdem statt? Ravensburg hat eine Allgemeinverfügung erlassen und es finden dennoch sogenannte Spaziergänge statt. Von den Drahtziehern ist ja gewollt, dass solche Versammlungen flächendeckend und zeitgleich stattfinden. Das sollte jedem Teilnehmer dahingehend zu denken geben, dass eine Instrumentalisierung durch die Agitatoren, aus welchen Gründen auch immer, beabsichtigt sein könnte. Hans-Uli Mayer