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Speckpolster und andere Krisen

Finanzen Landkreis und Kommunen drängen auf eine Reformdebatte bei der Finanzierung staatlicher Aufgaben. Die Warnung vor düsteren Zeiten fällt in eine Phase sprudelnder Geldquellen. Von Bernd Köble

Monika Dostal kann zufrieden die Tür hinter sich schließen. Die Finanzchefin im Esslinger Landratsamt hat gerade das dritte Jahr in Folge einen Haushalt mit einem satten Plus abgeschlossen. Um mehr als 92 Millionen Euro lag das tatsächlich erzielte Ergebnis seit 2019 zusammengerechnet über den ursprünglichen Erwartungen. Höhere Schlüsselzuweisungen vom Land, Mehreinnahmen bei der Grunderwerbssteuer und Einsparungen beim Personal sind die Hauptgründe dafür. Weil die Konjunktur noch immer brummt und die

 

„Wenn man mit Berliner Abgeordneten spricht, hat man den Eindruck, keiner hat so recht verstanden, was er da beschlossen hat.
Armin Elbl
Wernaus Bürgermeister zum Systemwechsel in der Flüchtlingsfinanzierung.
 

gewaltige Krise, die viele Experten vorhersagen, noch immer am Horizont schwebt, rechnet die Kreisverwaltung auch im laufenden Haushaltsjahr in ihrer Halbzeitbilanz mit einem Plus von knapp acht Millionen Euro. Es ist Dostals letzter Etat, bevor sich die Kreiskämmerin in den Ruhestand verabschiedet, und es könnte der letzte sein, der für gute Nachrichten sorgt.

„Das Geld unterm Strich haben wir nicht in der Kasse,“ warnt Dostal. Ein Grund dafür ist die seit 2015 anhaltende Flüchtlingskrise, die mit dem Krieg in der Ukraine auf einen neuen Höhepunkt zusteuert. Aus den vergangenen fünf Jahren musste der Kreis bis zu Jahresbeginn noch immer 22,4 Millionen Euro vorschießen, weil das Land seinen finanziellen Pflichten bei den Kosten für die Unterbringung nur schleppend nachkommt. Ende 2022 sollen es noch immer knapp 14 Millionen sein. Gleichzeitig führt der von der Berliner Koalition beschlossene Systemwechsel bei der Grundversorgung von Menschen aus der Ukraine zu der Befürchtung, dass der Landkreis auf gut einem Viertel dieser Kosten sitzen bleiben könnte.

Ein Unding, meint der Esslinger Landrat Heinz Eininger, der seit Jahren darauf pocht, dass es sich bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten um eine staatliche Aufgabe handle. „Deshalb verlangen wir auch eine hundertprozentige Kostenübernahme.“ Eininger erinnert daran, dass etliche Finanzierungsfragen, wie etwa bei der Beschulung und Betreuung von Flüchtlingskindern oder bei Integrationsprogrammen völlig ungeklärt seien. 

Seit Juni erhalten Geflüchtete aus den Kriegsgebieten in der Ukraine nicht mehr Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern Sozialhilfe über das Jobcenter. Damit habe die Berliner Regierung völlig ohne Not ein etabliertes System gekippt, kritisiert Eininger den Beschluss, der darüber hinaus ein „gigantisches Beschäftigungsprogramm“ für die Verwaltung darstelle. In der wächst die Furcht vor einem Zweiklassensystem im Asylrecht, nachdem für ukrainische Geflüchtete andere Regeln gelten als für Asylbewerber aus anderen Ländern. „Das schafft eine Situation, die nicht gut ist,“ sagt Eininger. Rund 1600 Briefe in deutscher und ukrainischer Sprache haben die Beschäftigten im Jobcenter verschickt, um potenzielle Antragssteller auf das geänderte Verfahren hinzuweisen. Für eine dreimonatige Übergangsphase mussten 
Erstattungsregelungen zwischen den Stellen vereinbart werden, um einen reibungslosen Wechsel sicherzustellen. Wernaus Bürgermeister Armin Elbl, Finanzsprecher der Freien Wähler im Kreistag, schlägt in dieselbe Kerbe: „Wenn man dieser Tage mit Berliner Abgeordneten spricht,“ meint Elbl, „dann hat man den Eindruck, keiner hat so recht verstanden, was er da beschlossen hat.“

Freie Wähler für Strategiewechsel

Vor dem Hintergrund harter Gefechte um eine Änderung im Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen fordern die Freien Wähler im Kreistag einen Strategiewechsel auch in der Kreis-Finanzpolitik. Nach der Sommerpause soll darüber beraten werden, wie sich die Finanzierungs-Leitlinien an Krisenzeiten anpassen lassen und welche Auswirkungen eine mögliche Reform der Kreisumlage haben könnte, über die sich die Städte und Gemeinden an Aufgaben des Landkreises beteiligen. An Konfliktherden, die diese Diskussion befeuern, mangelt es aus Elbls Sicht nicht: Energiekrise, Inflation, explodierende Baukosten, der Fachkräftemangel in Industrie und Handwerk oder die Zukunft des Nahverkehrs – „Das alles ist für uns im Moment nicht einschätzbar,“ sagt er. 
 

6000 Ukraine-Flüchtlinge bis Jahresende erwartet

Im Landkreis Esslingen steigt die Zahl der Menschen, die vor dem russischen Krieg in der Ukraine Zuflucht suchen. Zurzeit sind 5055 Menschen, überwiegend Frauen mit Kindern, darunter auch 43 unbegleitete Minderjährige, bei den Ausländerbehörden hier im Landkreis registriert. Pro Woche kommen im Schnitt etwa 100 Schutzsuchende neu hinzu, wie die Kreisverwaltung mitteilt.
Es werde immer schwieriger, die Menschen von der Erstaufnahme auf die Kommunen zu verteilen, stellt Landrat Heinz Eininger fest. Die Hauptlast tragen demnach die Großen Kreisstädte. In den Gemeinden Unterkünfte zu schaffen, sei das Gebot der Stunde. „Wir können uns nicht auf private Mietangebote verlassen,“ sagt Eininger. Die Verwaltung rechnet damit, dass bis Jahresende bis zu 6000 Geflüchtete hier im Landkreis eine vorläufige Bleibe benötigen werden. Dies soll auch zentrales Thema bei einer Bürgermeisterversammlung in der kommenden Woche sein.
Auch die Unterbringung
von Flüchtlingen, die nicht aus der Ukraine stammen, bleibt eine Daueraufgabe. Für sie stehen zurzeit rund 1500 Plätze in Sammelunterkünften zur Verfügung, die zu 80 Prozent belegt sind. Schätzungen zufolge werden sich die Mehrausgaben des Landkreises durch den Ukraine-Krieg in diesem Jahr abzüglich aller Erstattungen durch Bund und Land auf 5,5 Millionen Euro belaufen. bk