Graffiti sind aus unseren Städtelandschaften nicht mehr wegzudenken. Besonders öffentliche Gebäude, Industriebauten, leere Wandflächen oder S-Bahn-Züge tragen deutlich sichtbar die mal mehr, mal weniger ansprechenden „Visitenkarten“ von Spraykünstlern, die in der Regel spät nachts unterwegs und deshalb unbekannt sind. Mittlerweile hat sich das Auge an diese Form der Kunst im öffentlichen Raum gewöhnt.
Mit einer ansprechend aufgemachten und informativen Sonderausstellung spürt das Stadtmuseum der Entstehungsgeschichte und der Formenvielfalt dieser noch jungen Kunstform nach, wobei neben den verwendeten Werkzeugen – Farbspraydosen diverser Hersteller – und grafischen Beispielen auch die Möglichkeiten legaler Sprayertätigkeit aufgezeigt werden. Nicht zuletzt werden in der Ausstellung der Aspekt Sachbeschädigung und der durch illegal gesprayte Graffiti verursachte Reinigungsaufwand thematisiert.
Diese etwas andere Ausstellung im Stadtmuseum fällt schon optisch aus dem Rahmen. Als Raumteiler dienen Bauzäune aus Metall, daran befestigte großformatige Leinwände zeigen Graffiti in knallbunten Farben. Zudem gibt es erklärende Infotafeln, auf denen zu mehreren Themenbereichen eine Fülle an Informationen zusammengetragen wurden. Der Besucher erfährt zum Beispiel, wann die Mode, sich im öffentlichen Raum mehr oder weniger bildgewaltig namentlich zu verewigen, begonnen hat. Ein Botenjunge in New York war es, der in den ausgehenden Sechzigerjahren bei seinen Touren mit Filzstift auf alle Wände, die er erreichen konnte, seinen Spitznamen „TAKI 183“ kritzelte. Die „New York Times“ brachte einen Artikel über ihn und löste damit einen Flächenbrand aus. Von New York breitete sich der Wettbewerb um die auffallendsten, mutigsten oder buntesten Schriftzüge um die ganze Welt aus.
In der Ausstellung erhält man außerdem Einblicke in die Gepflogenheiten und die Sprache der Szene und erfährt unter anderem, was der Unterschied zwischen einem „Tag“, einem „Throw up“ und einem „Piece“ ist. Die Graffiti-Künstler bezeichnet man übrigens nicht als Sprayer, sondern als Writer oder Writerin. Besonders eifrige oder kreative Writer genießen in der Szene ein hohes Ansehen und sind infolgedessen „King“. Auch das Handwerkszeug – die Farbspraydose – wird eingehend vorgestellt. Zum einen gibt es dort markante Qualitätsunterschiede, zum anderen spielt die Beschaffenheit des Sprühkopfs eine nicht unerhebliche Rolle. In einer Ecke der Ausstellung signalisiert ein Kärcher-Hochdruckreiniger, dass die Frage der Reinigung illegal besprühter Wände in der Ausstellung keineswegs ausgeklammert wird.
„Mir ist es wichtig, die kulturgeschichtlichen Perspektiven der Graffiti darzustellen“, erklärt Museumsleiterin Melina Wießler. „Das Thema ist vielschichtiger und komplexer als ich gedacht habe“, bekennt sie freimütig. Zahlreiche Aspekte ihrer Recherchearbeit sind in die Ausstellung mit eingeflossen. Ansprechen möchte sie mit dieser außergewöhnlichen Präsentation „Jugendliche, junge Erwachsene und darüber hinaus alle, die es interessiert“.
„Die Ausstellung ist eine tolle Sache, auch für jung Gebliebene“, schwärmt der Nürtinger Oberbürgermeister Johannes Fridrich. Graffiti gehöre zur Lebensphilosophie der Jugend, findet der OB. Diese Kunstform habe zweifellos ihre Berechtigung. „Es gibt wunderbare Graffiti“, und diese könnten auch zur Verschönerung der Stadt beitragen. Voraussetzung dabei sei, dass es legal gemacht werde. Hier leiste die Ausstellung Hilfestellung, indem sie zeige, was verboten und erlaubt ist.
Eröffnet wird die Ausstellung „Graffiti – von New York nach Nürtingen“ am Sonntag, 24. April, um 11 Uhr; ab 12 Uhr gibt es auf dem Vorplatz des Museums eine Graffiti-Show. Die Ausstellung im Obergeschoss des Stadtmuseums wird bis zum 18. September dienstags, mittwochs und samstags von 14.30 bis 17 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr gezeigt. Alle Infos gibt es auch unter www.stadtmuseum-nuertingen.de