Anderthalb Jahre ist es her, dass sich bei der Firma Merkle Holzbau in Bissingen Waschbären einquartiert und eine Familie gegründet haben. Was mit einem possierlichen Tier begann, das nur auf dem Dachstuhl lebte, endete in zerfetzten Isolierungen, angeknabberten Kabeln und übel riechenden Ausscheidungen. Mehr als einmal griff Geschäftsführer Frank Langer zum Telefon. Anrufe bei Behörden brachten nichts, Jäger konnten nicht weiterhelfen, Tipps aus dem Internet waren nutzlos.
In der Zwischenzeit gingen mehrere Waschbär-Generationen auf dem Dachstuhl ein und aus. „Als Laie ist man da völlig hilflos“, findet Frank Langer, der manches Mal der Verzweiflung nahe war. „Schließlich können Wildtiere auch Krankheiten übertragen“, betont der Geschäftsführer. Anfang des Jahres bekam er dann endlich den Tipp, dass es in Schopfloch jemanden gibt, der ausgebildeter Stadtjäger ist. Christian Schwenk kam vorbei, bewertete die Lage, stellte Fallen auf und gab der Belegschaft Ratschläge, wie sie sich bei einem Kontakt mit dem wilden Tier verhalten sollten. Dank Christian Schwenk wissen jetzt auch die Mitarbeiter, wie sich auch im eigenen Haus präventiv Probleme mit Wildtieren vermeiden lassen.
Die zieht es laut dem Wildtierbericht 2018 mehr und mehr in Siedlungen. Nicht zuletzt deshalb wurden bei der Novellierung des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes Ende Juni dieses Jahres landesweit die Stadtjäger eingeführt. Dass Wildtiere vermehrt in Dörfer und Städte wandern, wundert Christian Schwenk nicht. Denn wo sich der Mensch niederlässt, finden viele Vierbeiner ein gutes Leben. Gleichzeitig wachsen viele Kommunen auch am Siedlungsrand. „Während ein Teil der Tiere auf der Suche nach neuen Lebensräumen abwandert, drängt der andere in die Kommunen“, erklärt Christian Schwenk. „Und dort kommen sie auf Komposthaufen, in Mülltonnen, Gärten, Parks, durch direkte oder indirekte Fütterung ganzjährig leicht an Nahrung.“
Außerdem bieten menschliche Siedlungen ein milderes Klima als natürliche Lebensräume und sie sind reich an Strukturen, die vielen Habitaten in freier Wildbahn ähneln. Hinzu kommt, dass die Jagd innerhalb kommunaler Grenzen verboten ist. „Wildtiere merken hier schnell, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht“, sagt Christian Schwenk. All das führt letztlich dazu, dass einige Arten zunehmend Dörfer und Städte für sich entdecken. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zwischen Mensch und Tier.
„Herkömmliche Strategien und Methoden des Wildtiermanagements in ländlichen Gebieten und freier Landschaft lassen sich nicht einfach auf Bereiche übertragen, in denen Menschen auf engem Raum leben“, klärt Christian Schwenk auf.
Entsprechendes Know-how bringen speziell qualifizierte Stadtjäger mit. Und sie entwickeln Maßnahmen zur Vorbeugung. Sie sind dafür ausgebildet, nicht nur Bürger, sondern zum Beispiel auch Verwaltungen bei der Bauplanung und Siedlungsentwicklung zu beraten, um Konflikte schon vorab zu vermeiden. Außerdem besitzen Stadtjäger laut Christian Schwenk weitgehende rechtliche Befugnisse. In Fragen des Wildtiermanagements könnten sie damit schneller und auch unbürokratischer weiterhelfen als „normale“ Jäger.
Als Stadtjäger darf Schwenk, nach Genehmigung der örtlichen Polizeibehörde, auch Waffen einsetzen, um etwa in Stadtparks Überpopulationen abzubauen. Die Schussdistanzen sind hier kürzer als in Wald und Flur. Dementsprechend nutzen Stadtjäger teilweise andere Waffen und Schießstrategien, als die Jäger in Feld und Flur, wie der Experte bemerkt. Frank Langer jedenfalls befolgt seinen Rat und wird demnächst sämtliche Löcher im Dach schließen. So lässt sich auch der letzte Waschbär problemlos vertreiben. „Die anstehende Sanierung würde Privatleute rund 10 000 Euro kosten“, bilanziert Frank Langer. „Es ist also jeder gut beraten, der früh auf tierische Untermieter reagiert.“