Zum Gespräch kommen sie im Duett, die Brüder Walter Michael und Jürgen Leuthe. Sie sind die letzten eines einstmals in Nürtingen blühenden Textilgewerbes. „Wir sind die einzigen in der Gegend, die noch stricken“, sagt Walter Michael Leuthe, mit 57 Jahren der ältere der beiden Brüder. Er erinnert sich noch daran, wie in den 70-er Jahren auf dem Poststempel von Nürtingen stand: „Stadt der guten Strickwaren“. Damals gab es noch rund 40 Strickereien. Doch wie haben es die Leuthes geschafft, mit ihrem Betrieb zu überleben?
„Unser Vater hat 1973 die Sparte Sporlastic für orthopädische Hilfsmittel gegründet“, sagt Walter Michael Leuthe, der als Geschäftsführer die Medizinprodukte betreut. Für den Modebereich Luisa Cerano ist sein neun Jahre jüngerer Bruder Jürgen zuständig. „Es ist ein Premiummodelabel für modebewusste Frauen weltweit,“ erklärt er.
In fünfter Generation führen die Brüder die 1870 gegründete Haubergruppe – ihre Schwester Christina, Jahrgang 1970, ist Physiotherapeutin und erprobt in einem Studio in Nürtingen die Produkte des orthopädischen Bereichs. Ihr 84-jähriger Vater Walter kommt täglich noch ins Geschäft. Das hat Tradition. Auch seine Mutter Ruth habe Präsenz gezeigt, bis sie über 90 Jahre alte war. Für die Finanzen haben sie jedoch mit Simon Tabler einen kaufmännischen Geschäftsführer, auch wenn beide Brüder Diplomkaufmann sind.
95 Millionen Euro Umsatz wollen sie im Geschäftsjahr 2023/24 in der Gruppe erzielen, nach rund 90 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr. „Wir haben in den über 150 Jahren Firmengeschichte fast immer schwarze Zahlen geschrieben“, erklärt Walter Michael Leuthe. Ihre Rohware kaufen sie selber ein. Dafür liegt die Qualitätskontrolle – wie auch für die fertigen Produkte beider Sparten – in Nürtingen.
Die Produkte werden zu 80 Prozent in Europa bei Vertragsunternehmen hergestellt. Gerade darin sieht Walter Michael Leuthe eine der Herausforderungen. Durch Corona habe das Thema der unterbrochenen Lieferketten dazu geführt, dass seitdem Textilunternehmen, die davor in Asien produzieren ließen, nun Kapazitäten bei europäischen Produzenten nachfragten. „Dadurch sind sie zeitlich sehr ausgelastet“, sagt der Jüngere. Hinzu komme die schlechter gewordene Transportsituation aufgrund Personalmangels in Logistikunternehmen. Komme etwas zu spät an, sei es schwieriger geworden, darauf zu reagieren.
Zudem habe Corona zu veränderten Vertriebskanälen geführt und mancher Fachhändler sei weggefallen. Dafür habe das Plattformgeschäft in der Modesparte zugenommen. Sie selbst seien erst 2017 mit der Marke Luisa Cerano in den Online-Direktvertrieb eingestiegen, der mittlerweile zwischen 17 und 18 Prozent des Umsatzes bei der Modesparte ausmache. Und er soll nach dem Willen von Jürgen Leuthe weiter steigen. Rund 60 Prozent der „wohlhabenden Kundinnen“ ab 30 aufwärts kämen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, gefolgt von den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Polen und Tschechien. Aber auch in Großbritannien, Kanada und China ist die Marke zu finden.
Medizinsparte exportiert kaum
Ganz anders sieht es bei Sporlastic aus. Die orthopädischen Hilfsmittel wie Schulter-, Knie- und Handgelenksstützen sind Medizinprodukte. „Sie werden für das deutsche Gesundheitswesen und dessen Qualitätsstandards entwickelt“, erklärt Walter Michael Leuthe. Dies schlage sich im Preis nieder. Deshalb gingen nur zehn Prozent in den Export. „Für das Ausland sind die Produkte zu teuer“, sagt er. Er steht neben einer computergesteuerten Maschine, die einen Kniegelenkschoner strickt. Dieser ist wie alle anderen Produkte in Nürtingen entwickelt worden. Besonders stolz ist Walter Michael Leuthe auf eine neue Handgelenksbandage. Sie braucht kein Alu mehr, benötigt weniger Stoff und ist komplett recycelbar. „Die Wirkweise ist besser, die Herstellung günstiger und der CO2-Abdruck geringer“, sagt Leuthe Das sei ein Glücksfall. Sie seien damit die ersten auf dem Markt. Es ist ein weiteres Puzzleteil, um sich abzusetzen.
Bruder Jürgen versucht dies beim Modedesign ebenfalls. Er setzt auf handwerkliches Können und nicht darauf, dass Passformen an Avataren anprobiert werden. „Ich glaube, es ist an den Produkten spürbar. Wie ein Stoff fällt, ob er locker gestrickt ist oder nicht, sieht man nur an der Schneiderbüste“, sagt er. Da sei die digitale Entwicklung der analogen Welt noch unterlegen.