Sie hätte es sich einfach machen und die demokratische Opposition in Belarus von hier aus unterstützen können. Doch Maria Kalesnikava ist nie den einfachen Weg gegangen. Unbeugsam hat sie sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in ihrer Heimat und gegen den Diktator Alexander Lukaschenko engagiert. Sie hat mit Swetlana Tichanowskaja und Veronica Tsepkalo für eine demokratische Präsidentschaft gekämpft. Und als klar war, dass Lukaschenko das Wahlergebnis gefälscht hatte, blieb Maria Kalesnikava dennoch in Belarus.
Lukaschenko hätte sie gerne aus dem Land geworfen, doch die 39-Jährige, die in Stuttgart Musik studiert und in der Region unterrichtet und Kulturprojekte angestoßen hatte, widersetzte sich. Sie wurde verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt.
Nun hat die Stadt Esslingen Maria Kalesnikava mit dem Theodor-Haecker-Preis ausgezeichnet. Dieser internationale Menschenrechtspreis für politischen Mut wird alle drei Jahre verliehen – Maria Kalesnikava erhielt ihn außer der Reihe, um ihr den Rücken zu stärken und ein Zeichen zu setzen.
Durch den russischen Überfall auf die Ukraine erhielt die Auszeichnung besondere Aktualität. „Wie wichtig und unerlässlich politischer Mut ist, müssen wir in diesen Tagen deutlicher und schmerzlicher denn je erfahren“, sagte Oberbürgermeister Matthias Klopfer. „Maria Kalesnikava wurde gewaltsam aus ihrem Leben in unserer Region entrissen, die Spur der belarussischen Diktatur führt zu uns und hinterlässt hier eine Wunde, denn Maria wird schmerzlich vermisst. Es ist unsere Aufgabe, ihren Kampf zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass sie nicht vergessen wird. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, Nachrichten über verschwundene, verhaftete oder bedrohte Regimekritiker und -kritikerinnen zu hören.“
Klopfer erinnerte an mehr als 1000 politische Gefangene in Belarus und betonte: „Diese Geschichten wiederholen sich schon zu oft. Sie dürfen von uns nicht einfach stillschweigend hingenommen werden.“ Die Verleihung des Haecker-Preises solle ein doppeltes Zeichen der Solidarität setzen – nicht nur mit den Menschen in Belarus, sondern auch mit deren Nachbarn in der Ukraine. Und der Oberbürgermeister versprach: „Das Streben nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit darf und wird nicht durch die Gewalt von Diktatoren erstickt werden.“
Landtagspräsidentin Muhterem Aras würdigte Maria Kalesnikava in ihrer Laudatio als eine „mehr als würdige Preisträgerin“. Auch angesichts des Krieges in der Ukraine stehe diese Auszeichnung für den Kampf der Menschen für Demokratie, Freiheit und Frieden – nicht nur in Belarus, sondern auch in der Ukraine und in Russland und damit auch in ganz Europa. Mit ihrem Einsatz gegen staatliche Willkür und Unterdrückung und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sei Maria Kalesnikava nicht nur Vorbild für die Demokratiebewegung in Belarus, sondern auch Vorbild und Mahnung für uns: „Wir leben hier in Freiheit. Doch diese Freiheit müssen wir verteidigen. Ich appelliere deshalb an uns alle: Verteidigen wir unsere Werteordnung, engagieren wir uns gegen Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit.“
Barbara Straub, die Beauftragte für Chancengleichheit, zollte Maria Kalesnikava Respekt für deren unbeugsamen Mut. Kalesnikavas Schwester Tatsiana Khomich, die die Auszeichnung stellvertretend entgegennahm, erinnerte an die Bedeutung, die die Preisträgerin für viele Menschen hat: „Sie ist zu einer Ikone des Freiheitskampfes geworden – nicht nur in Belarus, sondern weltweit. Früher war sie nur meine Schwester, jetzt ist sie eine Schwester von Tausenden.“
Künstler mit politischem Anspruch
Marcus Grube: Es war kein Zufall, dass der Theodor-Haecker-Preis im Schauspielhaus der WLB verliehen wurde: Als Musikerin und Kultur-Macherin hat sich Maria Kalesnikava einen Namen gemacht. „In ihrer Person verbindet sich der Anspruch, dass künstlerische Arbeit auch eine politische sein muss“, betonte WLB-Intendant Marcus Grube.
Initiative InterAKT: Viktoriia Vitrenko und Jasmin Schädler zeichneten unter dem Titel „Liebe ist stärker als Angst! Maria Kalesnikava und die politische Kunst“ ein ebenso facettenreiches wie berührendes Bild ihrer Freundin und Kollegin. Wie Kunst Politik eindrucksvoll reflektiert, zeigte der Kurzfilm „Belarus – Demokratiemärchen“. adi