Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben: Die Uhren in den alten Gemäuern stehen auf 16 Minuten vor fünf – sie bezeugen den Zeitpunkt, der das Ende der einstigen Papierfabrik Scheufelen in Lenningen markiert.
Dort an „historischer Stätte“ hat mit den Start-up-Unternehmen Fibers365 und Phoenix Non Woven365 die Zukunft Einzug erhalten, erklärt der Vorsitzende des Kreisverbands Esslingen der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Dirk Handler,
im Beisein von Dr. Gisela Meister-Scheufelen und ihrem Ehegatten Dr. Ulrich Scheufelen.
Ziel von Fibers365: Mit einer weltweit einzigartigen Technologie sollen jährlich nachwachsende Pflanzen wie Stroh und Zuckerrohr völlig chemiefrei so aufbereitet werden, dass sie im Verpackungs-, Textil- und Biopolymerbereich eingesetzt werden können. Das Ganze soll außerdem wettbewerbsfähig sein.
Die verwendete Biomasse liefert auch industriell nicht verwertbare Reststoffe. In Form von zuckerreichem Biogassubstrat stellt sie eine kostensenkende energieautarke Möglichkeit zur Herstellung der Wertstoffe dar. Der Vorteil der Verwendung einjähriger Pflanzen liegt darin, dass die Kohlendioxid-Kompensation hier schneller erfolge als bei der Nutzung von Bäumen, die deutlich langsamer wachsen, erklärt Stefan Radlmayr.
So funktioniert’s: Über das patentierte Steam-Explosions-Verfahren werden die Zellulosefasern gewonnen. Klingt ganz schön explosiv – und das ist es auch: Tatsächlich handelt es sich um eine Dampfexplosionstechnik. Stroh, Hanf, Flachs oder Zuckerrohr kommt zusammen mit Wasser in eine Art übergroßen Dampfkochtopf und wird stark erhitzt. Das Ergebnis aller Prozessschritte: hochbelastbare Pflanzenfasern. Selbst die Nebenprodukte werden nicht entsorgt – es bleibt eine „Suppe“, die Zugang zu hochwertigen Rohstoffen für Bioraffinerien liefert.
„Fibers365 ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Start-ups im Bereich der Bioökonomie weltweite, neue Geschäftsfelder sichern können“, sagt Stefan Radlmayr. Die enge Vernetzung mit Wissenschaftseinrichtungen wie etwa der Hochschule für Medien in Stuttgart und vieler Landwirte sowie mit dem Ministerium Ländlicher Raum sei ein echter Wettbewerbsvorteil für die Entwicklung neuer, innovativer Verfahren.
Vliesstoffe für Batterietechnik
Nicht weniger interessant ist das zweite Start-up, Phoenix Non Woven365, das Manuel Clauss, COO des Unternehmens, vorstellte. Hier dreht sich alles um die Nassvliesherstellung – eng verwandt mit der Papierherstellung. Bestandteile sind Stapelfasern oder Flockenstoff. Sie werden in Wasser aufgeschwemmt und auf Sieben fixiert. Das Verfahren ermöglicht eine maßgeschneiderte Anpassung an das gewünschte Endprodukt. Dabei handelt es sich um spezielle Vliesstoffe, unter anderem Carbon-, Glas- oder keramische Faserwerkstoffe.
Aber auch hier wird ein Augenmerk darauf gelegt, Anwendungen zu entwickeln, die auf der Verwertung von Rest- und Recyclingstoffen liegen. Zum Einsatz kommen diese Vliesstoffe zum Beispiel in der Batterietechnik.
Wie die Faserstoffe aussehen, bekamen die Gäste bei einer Besichtigung der Labore und Anlagen zu sehen. Die bräunliche Farbe des Produkts entspricht den Ausgangsstoffen. „Wir könnten natürlich auch bleichen, was aber nicht mehr ökologisch wäre“, erklärte Stefan Radlmayr.
Ebenfalls auf dem Gelände untergebracht ist der Forschungscampus der Hochschule der Medien. Dort erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was aus den Fasern noch entstehen kann.
Am Ende der Führung war klar: Die Uhren in der ehemaligen Papierfabrik Scheufelen stehen alles andere als still.