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Start-up will Pharmaszene aufmischen

Innovation Die Esslinger Firma Clade hat ein Gerät erfunden, mit dem Flüssigkeiten in Minuten statt Stunden oder Wochen analysiert werden können. Von Marion Brucker

Wenn wir unsere Software vorstellen, kommt immer ein Wow“, sagt Andreas Wolf. Der Chemiker forscht seit mehr als 20 Jahren in der Datenauswertung. Nun hat der 52-jährige Senior Adviser mit seinem Team ein Patent standardisiert, das die klassische Analytik von Flüssigkeiten ablösen soll. „Hier muss ich vorher wissen, was ich finden will“, erklärt der Chemiker und hält seine Kaffeetasse hoch. Ob der nun Koffein enthalte oder auch Zucker, jedes Mal müsste im Labor mit einer anderen Methode das Getränk analysiert werden. Oder beim Fischsterben in der Oder vergangenes Jahr. Immer wieder bedürfe es einer neuen Idee, nach welchem Toxin gesucht werden müsse, um die Ursache herauszufinden. Dies sei zeitaufwendig. Bei ihrer Methode aber werde die Software darauf trainiert, welche Stoffe gutes Oderwasser oder guter Kaffee enthalten dürfe. Doch dies seien nur Alltagsbeispiele, wie ihre Software angewendet werden könnte. Ihr Fokus läge nicht darauf, sondern auf der Pharmaindustrie. Diese sei zu 80 Prozent ihre Zielgruppe, zu 20 Prozent die Chemieindustrie, sagt Finanzvorstand Michael Straub.

Wolf geht ins gegenüberliegende Gebäude des Firmensitzes in der Esslinger Weststadt, wo sie zusätzlich vergangenes Jahr Räume angemietet haben. Dort wird das Gerät zusammengebaut. „Seit Ende 2022 ist es standardisiert“, sagt Wolf begeistert. Er zeigt, wie das Gerät mit einem Greifarm aus einem kleinen Gläschen mit einer Art Spitze eine Flüssigkeitsprobe entnimmt. Sie wird ins Innere des Gerätes befördert. Dort sitzt das Herzstück, die Hardware. Diese haben sich die Esslinger patentieren lassen. „Es ist die einzige weltweit, die hochgradig reproduzierbare Spektren aus wässrigen Proben ermöglicht, erfasst und einen digitalen Zwilling herstellt“, erklärt der Chemiker stolz. Abhängig vom Medikament könnten so innerhalb von Stunden statt von Tagen dessen Wirkstoffe kontrolliert werden, schwärmt Straub. Dies spare Aufwand und böte Sicherheit. Fiele ein Stoff auf, der nicht dem Inhalt entspreche, könnte danach analysiert werden, welcher es konkret sei. Auch Jahrzehnte später sei mithilfe des digitalen Zwillings nachweisbar, was darin enthalten war. Zudem könne diese Methode das Entwickeln von Medikamenten beschleunigen.

Warum aber rennt dann den Esslingern die Industrie bislang nicht die Türen ein? Wolf begründet dies mit den Regularien in der Pharmaindustrie. Es würde zehn bis 15 Jahre dauern, bis neue Produkte registriert würden. Darüber hinaus sei die klassische Analytik eine bewährte Methode. „Es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, Leute davon zu überzeugen, auf eine andere Technologie umzusteigen“, sagt er. Deshalb hätten sie Jochen Hirsch an Bord geholt. Er soll ab September die Kommerzialisierung vorantreiben. Der 51-Jährige tauscht eigenen Angaben zufolge seine Stelle als Vorstand in einem 1300-Mitarbeiter-Unternehmen in Hessen gegen den Vorstandsvorsitz bei Clade mit 60 Mitarbeitenden. Hirsch zufolge steht es am Übergang vom Start-up zu einem Unternehmen. „Wir wollen unseren Analytikstandard in der Pharmaindustrie etablieren“, sagen Hirsch und Wolf unisono. Bislang hätten Boehringer Igelheim, BASF, bene pharma Chemie und Rentschler bio pharma ihr Gerät gekauft. Auch mit einem deutschen Biotechnologie­unternehmen gebe es Gespräche.

Noch schreibt Clade rote Zahlen, doch 2026 soll die Gewinn­zone erreicht werden. Dieses Jahr will es den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr auf zwei Millionen Euro verdoppeln. Außerdem soll ihre Software mithilfe künstlicher Intelligenz sukzessive weiterentwickelt werden. Deshalb suchen sie Mitarbeitende. Derzeit hätten sie fünf offene Stellen und bislang in diesem Jahr 15 besetzt. Seit 2020 habe sich die Mitarbeiterzahl von 30 auf 60 verdoppelt. Ein Teil davon arbeitet in der Niederlassung Berlin. Diese haben sie 2020 gegründet, weil dort Softwareentwickler leichter zu finden seien.

 

Clade stellt sich für den Durchbruch auf

Team: Andreas Wolf ist 1969 in Freiburg geboren und hat sich in seiner Promotion mit Infrarotspektroskopie mittels Dünnschichtenzellen am Karlsruher Institut für Technologie beschäftigt, sie aber niemals verteidigt. Stattdessen gründete der Chemiker 2001 gemeinsam mit Studienkollege Ralf Masuch, Jahrgang 1966, und Maschinenbauer Robert Seidel ein Unternehmen für Grundlagenforschung an der Freiburger Hochschule. Als ihnen die Räume am dortigen Institut gekündigt wurden und sie 2008 den Innovationspreis CyberOne Hightech Award Baden-Württemberg gewonnen hatten, erhielten sie aus Esslingen das Angebot, ins dortige Life Science Center zu ziehen. Chemiker Masuch ist wie Wolf heute im Advisory Board tätig und da für die Auswertung und Machbarkeit von Daten zuständig. Michael Straub, 1984 in Backnang geboren, ist seit drei Jahren Finanzvorstand. Er hat davor bei EQOS Energie Deutschland GmbH in Biberach gearbeitet. Der Hesse Jochen Hirsch, Jahrgang 1971, ab 1. September Sprecher des Vorstandes, arbeitet zurzeit noch als Vorstand bei der R-Biopharm AG in Funkstadt bei Darmstadt. Über der GmbH steht die in 2021 gegründete, in Frankfurt ansässige Clade AG mit dem zweiköpfigen Vorstandsteam Oliver Götz (Vorsitzender) und Michael Straub. Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Alexander Goertz.

Gesellschafter: Mehrheitsgesellschafter ist die DAH Beteiligungs GmbH Mannheim, in der Daniel Hopp engagiert ist. Er leitet unter anderem die SAP-Arena, ist Geschäftsführer der Eishockey-Adler und Sohn von SAP-Gründungsmitglied Dietmar Hopp. Wolf, Masuch und der 2008 ausgeschiedene Robert Seidel sind Minderheitsgesellschafter bei Clade.