Benjamin Hain betreibt eine ungewöhnliche Sportart: Der 33-jährige Köngener trainiert für die sportlichen Wettkämpfe der schottischen Highland Games, bei denen Gewichte hoch und weit geworfen, Steine gestoßen und Hämmer und Baumstämme geschleudert werden. Er hat an der Deutschen Meisterschaft teilgenommen und kam 2019 bei den Europameisterschaften in Wien unter die ersten zehn seiner Gewichtsklasse.
Ja, Männer und Frauen tragen bei den Highland Games einen Kilt, den traditionellen karierten Schottenrock. Und ja, sie tragen auch etwas darunter, das schreibe sogar das Regelwerk vor, erzählt Benjamin Hain lachend: „Nackte Hintern wie im Film ‚Braveheart‘ kriegt man bei uns nicht zu sehen.“
Die Highland Games sind seit Jahrhunderten Teil der schottischen Kultur. In ihrer heutigen Form werden die Spiele in Schottland als Volksfest seit dem 19. Jahrhundert gefeiert, ausgewanderte Schotten halten die Tradition in vielen anderen Ländern lebendig, und selbst Königin Elizabeth II. genoss das Spektakel einmal im Jahr als Zuschauerin. Während zu den Team-Wettkämpfen auch Hufeisenwerfen, Fassrollen und Heusack-Werfen mit der Mistgabel zählen, tritt Benjamin Hain als Einzelwettkämpfer in den fünf sportlichen Disziplinen Steinstoßen, Hammerwurf, Gewichthoch- und -weitwurf und Baumstammwerfen an, die erhebliche Kraft und Geschicklichkeit erfordern.
Benjamin Hain, der als Jugendlicher Fußball gespielt hat und mit 19 Jahren zum Krafttraining ins Fitnessstudio wechselte, entdeckte als Zuschauer in Stuttgart seine Begeisterung für die Highland Games. Wie ein Muskelprotz sieht er trotz des regelmäßigen Krafttrainings nicht aus: Mit einer Körpergröße von fast 1,90 Meter und einem Gewicht knapp unter 90 Kilogramm startet er in der Klasse der Leichtgewichte.
Beim Athletik-Sportverein Ludwigsburg-Oßweil hat er die Grundlagen für die technisch anspruchsvollen Disziplinen der Highland Games gelernt: „Dort gibt es ehemalige Hammerwerfer und Kugelstoßer, die das erklären und zeigen. Und später guckt man Videos zur Verfeinerung der Bewegungsabläufe.“ Hains Lieblingsdisziplin ist der Wurf mit dem schottischen Hammer, einer schweren Eisenkugel an einem Holzstab, die er aus dem Stand über die Schulter hinweg schon 27 Meter weit geworfen hat. Die besten seiner Gewichtsklasse werfen gerade mal drei Meter weiter. Am wenigsten liegt ihm der Gewichthochwurf, bei dem das Gewicht, das so viel wie ein gefüllter Sprudelkasten wiegt, einarmig vom Boden aus rückwärts über den Kopf über die Latte geworfen wird. Fürs Publikum besonders spektakulär ist die Disziplin Caber Toss, bei der ein Baumstamm von mindestens 30 Kilogramm Gewicht und vier Metern Länge so geworfen wird, dass er sich der Länge nach um 180 Grad dreht und in möglichst gerader Linie weg vom Werfer zu liegen kommt. Die geschleuderte Weite spielt dabei keine Rolle.
Die Familie geht zurzeit vor
Sechsmal die Woche macht Benjamin Hain morgens ab 5 Uhr Krafttraining in seiner Garage. Mit einem Schlingentrainer simuliert er die Drehbewegungen beim Abwurf, manchmal trainiert er im Garten, mal in der freien Natur. Als Kraftsportler achtet er darauf, sich gesund und vor allem eiweißreich zu ernähren. „Pflanzliches Eiweiß, Fleisch und Fisch, und nach dem Training ein Protein-Shake. Aber ich lebe nicht asketisch, ich gönne mir auch mal Eis, ein paar Chips oder ein Bierchen“, betont er.
Sich für seine einsamen Trainingseinheiten zu motivieren, fällt ihm leicht, weil er konkrete Ziele hat: „Ich möchte meinen Kindern ein Vorbild sein. Ich möchte gesund bleiben. Viele meiner Altersgenossen haben jetzt schon Rückenprobleme.“ Auch an Meisterschaften will er wieder teilnehmen: „Ich möchte auch mal bei Highland Games vor Ort in Schottland antreten. Und da will ich keinesfalls Letzter werden.“ Nachdem Benjamin Hain im November zum dritten Mal Vater wurde, liegt derzeit sein Schwerpunkt auf der Familie, da bleibt nur Zeit für das Kraft- nicht aber für das Techniktraining im Verein. Von Benjamin Hains Muskelkräften profitiert auch sein Umfeld: Nicht jeder Papa kann seine knapp vierjährigen Zwillingstöchter gleichzeitig auf den Arm nehmen. Und nicht jeder Bibliothekar kann seinen Kolleginnen in der Esslinger Stadtbücherei, wo Benjamin Hain für die IT zuständig ist, Tipps fürs rückenschonende Tragen hoher Bücherstapel geben.
Ein Blick in die Sporttasche
Inhalt: In Benjamin Hains stabilem Trainings-Trolley finden sich neben dem gut sieben Kilogramm schweren Trainingsstein Handschuhe und Verband-Tape, um die Hände beim Abwerfen der Gewichte zu schützen. Magnesia und Harz sorgen für einen guten Griff. Ein spezieller Harz-Entferner macht die Hände wieder sauber.
Weiter im Gepäck: Mückenspray, Knie- und Handgelenkbandagen, ein Theraband zum Aufwärmen, zwei Paar Schuhe, eines mit Noppen, eines mit glatter Sohle, und seinen rot-schwarz-karierten Sport-Kilt, den er sich extra aus den USA hat mitbringen lassen. gw