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Stolpersteine: „Geschenk der Bürger an ihren Ort“

Interview Seit rund 30 Jahren erinnert Gunter Demnig mit seinen Stolpersteinen an die NS-Opfer. Auf Initiative des Bürgervereins wurden nun in Wendlingen die ersten drei Gedenksteine verlegt. Von Kerstin Dannath

Wie bereits vielerorts, gibt es seit Montag auch in Wendlingen Stolpersteine. Auf Initiative des örtlichen Bürgervereins wurden jetzt die ersten drei Exemplare verlegt. Sie erinnern an die im Dritten Reich in Grafeneck getötete Charlotta Hammelehle, den Widerstandskämpfer Otto Wisst und die zwangssterilisierte Emma Kanzleiter. Die Idee, mit Stolpersteinen an Opfer der NS-Diktatur zu erinnern, geht auf den 75-jährigen Künstler Gunter Demnig zurück, dem es wichtig ist, bei Erstverlegungen wie in Wendlingen selbst vor Ort zu sein. Kerstin Dannath sprach mit dem Künstler.

Herr Demnig, Sie legen Wert darauf, dass die Recherchen zu den Verlegeorten von unabhängigen Initiativen vor Ort betrieben werden. In Wendlingen war es der Bürgerverein. Was steckt dahinter?

Gunter Demnig: Die Grundidee war, dass die Initiative aus den Ortschaften selbst kommen muss. Und zwar sowohl der Wunsch, Stolpersteine verlegen zu wollen, als auch die Recherchearbeiten zu erledigen und sich um die Finanzierung über Patenschaften zu kümmern. Stolpersteine sollen ein Geschenk der Bürger an ihre Kommune sein. Vor allem junge Leute sollen sich mit der Thematik beschäftigen. Viele Lehrer hatten mich im Vorfeld gewarnt, dass die Jugend übersättigt mit dem Thema Nationalsozialismus sei. Aber ich habe Gegenteiliges erfahren. Von sechs Millionen Opfern in einem Buch zu lesen, ist abstrakt – aber wenn nur eines davon um die Ecke gewohnt hat oder vielleicht sogar dieselbe Schule besucht hat, ist das ein ganz anderer Geschichtsunterricht.

Hätten Sie 1992, als Sie den ersten Stein in Köln verlegt haben, erwartet, dass das Projekt eine solche Dynamik entwickelt?

Demnig: Ganz sicher nicht. Anfangs waren die Stolpersteine für mich ein rein konzeptionelles Kunstwerk – allein schon wegen der hohen Opferzahlen. Ein Kölner Pfarrer hat mich motiviert, einfach mal im Kleinen damit anzufangen. Jetzt sind wir bei 100 000 Gedenksteinen, das ist angesichts der Opfer immer noch wenig, hat aber eine hohe Symbolkraft. Überall dort, wo Wehrmacht, Gestapo oder SS ihr Unwesen getrieben haben, sollen symbolisch Steine verlegt werden. Derzeit sind bereits 31 europäische Länder dabei.

Aber es gibt auch weiße Flecken auf der Weltkarte, etwa in Albanien, Bosnien-Herzegowina oder Belarus.

Die Initiative muss aus den Ländern kommen. Belarus ist ein Sonderfall. Die ersten Steine für dort waren bereits fertig, mein Flug war gebucht. Dann hieß es von Verwaltungsseite plötzlich: ‚Nein, wir wollen keine individuelle Form des Gedenkens. Wir wollen irgendwann ein monumentales zentrales Denkmal errichten.‘ Passiert ist aber bislang noch nichts. Die Steine für Belarus liegen bei einem Freund dort in einer Vitrine.

Ihr Projekt steht mancherorts auch in der Kritik – so dürfen in München keine Stolpersteine verlegt werden, weil man nicht auf NS-Opfern herumtrampeln wolle.

Für mich ist das eine Verhöhnung der Opfer. Die Nazis haben sich nicht mit Herumtrampeln begnügt, sie hatten ein gezieltes Vernichtungsprogramm. Im Petersdom im Rom läuft man über echte Grabplatten, und es kümmert niemanden. Um einen Stolperstein zu betrachten, muss man sich dagegen vor dem Opfer verbeugen.

In Wendlingen wurde anfangs befürchtet, die Stolpersteine könnten zu Vandalismus führen. 2001 bis 2011 gab es bundesweit 700 Fälle. Häufen sie sich wieder?

Insgesamt sind es weniger Vorkommnisse geworden. Bis heute sind etwa 900 Stolpersteine herausgerissen worden, sie wurden aber alle ersetzt. In Thüringen sollten jüngst zwei Steine verlegt werden, doch die örtliche Politik hat ihr Veto eingelegt. Jetzt heißt es erst einmal abwarten dort. Aber insgesamt steigt die Zustimmung zu dem Projekt.