In einem roten, schlabberig sitzenden Jogginganzug und in Handschellen wurde der 25-Jährige am Freitagmorgen in den Gerichtssaal geführt. Die Kleidung, die jeder Insasse in der Justizvollzugsanstalt erhält, habe er behalten dürfen, sagte er seinem Verteidiger in einem kurzen Gespräch. Der Mann, dem Mord aus niedrigen Beweggründen und Heimtücke vorgeworfen wird, befindet sich mittlerweile nicht mehr im Gefängnis, sondern in einer psychiatrischen Einrichtung in Behandlung.
Aus Frust über seine Verlegung von Hochdorf nach Wernau soll der afghanische Staatsbürger einen zufällig vorbeilaufenden Jogger in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft in Hochdorf erstochen haben. Am dritten Verhandlungstag wurden erste Zeugen gehört, die die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestätigten. Ihren Aussagen zufolge war der Angeklagte eine tickende Zeitbombe.
Ab Februar ging es bergab
Mit besonderer Spannung wurde die Aussage des Hausmeisters der Unterkunft in Hochdorf erwartet. Der 55-Jährige kennt den Angeklagten gut – dieser hatte dort zwei Jahre lang gewohnt. „Er war anfangs wirklich sehr nett, hat immer ,Guten Morgen, Hausmeister‘ gesagt“, berichtete der Zeuge. Nie sei er wütend oder aggressiv gewesen. Doch ab Februar 2024 habe sich sein Verhalten stark verändert. „Er blieb nur noch in seinem Zimmer, lag den ganzen Tag im Bett. Die Rollläden waren ständig unten.“ Der Hausmeister beschrieb ihn als zunehmend misstrauisch und distanziert.
Immer wieder sei es zu Auseinandersetzungen mit anderen Bewohnern gekommen. Der 25-Jährige sei leicht reizbar gewesen, „von null auf 180“. Die Veränderung habe eingesetzt, nachdem er seinen Job verloren hatte. Auch ein Streit mit einer Frau ist laut Aussage des Hausmeisters von Bedeutung gewesen.
Die Situation habe sich zugespitzt, als der Angeklagte von Hochdorf nach Wernau verlegt wurde – ein gewöhnlicher Vorgang, wie der Hausmeister erklärte: „Nach zwei Jahren werden die Bewohner üblicherweise verlegt.“ Doch der Angeklagte habe dies nicht akzeptieren wollen. Er sei wiederholt in Hochdorf aufgetaucht, einmal habe er sogar den Schlüssel zu seinem alten Zimmer verlangt. Als ihm dieser verweigert wurde, habe er die Tür aufgebrochen. Der Hausmeister habe daraufhin die Polizei gerufen. Unter Einsatz von Pfefferspray hätten die Beamten den Mann festgenommen und auf die Wache nach Wernau gebracht. „Das war acht Tage vor dem Mord“, so der Hausmeister.
Die Polizei habe die Mitarbeiter der Unterkunft daraufhin gewarnt, dass der Mann möglicherweise erneut erscheinen könnte. Drei Tage vor der Tat sei er tatsächlich wieder dort aufgetaucht und habe einer Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt gedroht.
Was geschah am Tattag?
Am 15. November sei der Angeklagte gegen 8.30 Uhr erneut bei der Unterkunft erschienen. „Er war zunächst ganz freundlich“, so der Hausmeister. Er habe nach einem Schraubendreher gefragt. Als ihm mitgeteilt wurde, dass sich sein Werkzeug nicht dort befindet, sei er wütend geworden. Gegen 8.45 Uhr habe der Vorgesetzte des Hausmeisters den Mann vom Gelände verwiesen. Gegen 12.30 Uhr sei der Hausmeister mit dem Auto an einer Bushaltestelle vorbeigefahren. Drei Fahrzeuge mit eingeschaltetem Warnblinker hätten dort gestanden, ein Mann habe halb auf der Straße gelegen, mehrere Personen hätten geholfen. „Ich dachte, es sei ein Verkehrsunfall“, sagte der Zeuge.
Zeugin beobachtet den Angriff
Bei dem verletzten Mann handelte es sich um den 56-jährigen Jogger, der mehrfach mit einem Messer angegriffen worden war. Ein Stich traf das Herz. Eine 51-jährige Sozialpädagogin wurde Augenzeugin des Vorfalls und gehörte zu den ersten Helferinnen. Sie berichtete, sie sei mit dem Auto in Hochdorf unterwegs gewesen, als sie auf dem Gehweg zwei Männer streiten sah. „So eine heftige Rangelei auf offener Straße habe ich noch nie erlebt.“ Als sie ausstieg, um einzugreifen, sei einer der Männer kurz weggerannt, ging dann aber in normalem Tempo weiter.
Der andere Mann sei zu Boden gegangen. „Es floss sofort sehr viel Blut.“ Ein weiterer Passant sei zur Hilfe geeilt und habe unverzüglich versucht, den Verletzten zu reanimieren. Erst dann sei sichtbar geworden, dass das Blut aus dem Brustbereich kam. „Da waren mehrere Stichwunden.“ Die Zeugin zeigte sich überrascht über den Messerangriff: „Ich hatte gar kein Messer gesehen.“
Ehemaliger Mitbewohner bestätigt Veränderungen
Auch ein ehemaliger Bewohner der Unterkunft in Hochdorf sagte vor Gericht aus. Er zeichnete ein ähnliches Bild des Angeklagten wie der Hausmeister. „Am Anfang war er ganz normal, aber mit der Zeit verschlechterte sich sein Zustand“, so der 21-Jährige. Der Angeklagte habe sich zunehmend isoliert, sei schnell reizbar gewesen und habe sich zu einem streitlustigen Menschen entwickelt. Es habe immer wieder Konflikte mit anderen Bewohnern gegeben – sogar eine Morddrohung gegen den Hausmeister. „Er ist jemand, der dringend Hilfe gebraucht hätte“, sagte der Zeuge über den Angeklagten.
Überraschende Einwürfe des Angeklagten
Der wollte sich am dritten Verhandlungstag eigentlich nicht zu den Vorwürfen äußern. Die Aussagen der Zeugen, die von einer Dolmetscherin in seine Muttersprache übersetzt wurden, nahm er regungslos und mit unbewegter Miene zur Kenntnis. Doch überraschend ergriff er während einer Aussage das Wort. Die Dolmetscherin übersetzte: „Ich habe doch nichts getan.“ An diesem Tag unterbrach er die Verhandlung ein weiteres Mal mit einem Zwischenruf, der jedoch nicht übersetzt wurde.