Gesundheit
Tüftler bringen Krebszellen zum Leuchten

Die beiden promovierten Chemiker Anna Herrmann und Heinrich Manfred Jehle haben ein Verfahren entwickelt, mit dem Tumore präziser operiert werden können. Dafür bekommt ihr Startup FlareOn Biotech eine Anschubfinanzierung aus dem Pre-Seed-Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums und der L-Bank.

Die beiden Chemiker Heinrich Manfred Jehle und Anna Herrmann sind die Gründer von FlareOn Biotech aus Frickenhausen. Foto: Ralf Just

Zwei Tüftler aus Frickenhausen haben eine Methode entwickelt, wie eine bestimmte Art von Tumoren besser operiert werden kann. Dafür bringen sie die Krebszellen zum Leuchten. Das Verfahren ist so vielversprechend, dass die beiden promovierten Chemiker Anna Herrmann und Heinrich Manfred Jehle für ihr Unternehmen FlareOn Biotech eine Anschubfinanzierung von 200.000 Euro aus dem Pre-Seed-Förderprogramm bekommen. Damit hilft das Land jungen Startups auf die Beine. Und zwei Wissenschaftler können sich auf die Suche nach ihrem „Heiligen Gral“ machen.

Die beiden, die seit Mai den Spagat zwischen Unternehmertum und Forschung meistern, sind die 33-jährige promovierte Chemikerin Anna Herrmann, die in Berlin promoviert wurde und drei Jahre lang in Kanada gearbeitet hat.

Heinrich Jehle ist ebenfalls promovierter Chemiker. FlareOn Biotech ist nicht das erste Startup des 56-Jährigen. 2020 hat er, ebenfalls mit Pre-Seed-Förderung, das Biotech-Start-up 3a-Diagnostics gegründet. Dabei ging es um die Erkennung von Bakterien mithilfe eines Kaugummis. Dieses Unternehmen hat Jehle inzwischen an einen amerikanischen Investor verkauft. Jetzt wagt er sich erneut an ein Startup.

„Zwischen uns passt es menschlich und fachlich“, sagt Jehle. Die jüngere Herrmann soll das Unternehmen einmal alleine leiten. Damit tragen die beiden dem Umstand Rechnung, dass Entwicklungen in der Onkologie langfristig zu betrachten sind.

Auf die Ränder der Tumore kommt es an

Herrmann und Jehle haben zum Gespräch die Präsentation mitgebracht, mit der sie schon Bank und Ministerium überzeugt haben. Darin wird anschaulich erklärt, was sie entwickelt haben und wie die Methode helfen kann, Leben zu retten. Überschrieben ist die Präsentation mit „Fluoreszierende Wegweiser in der Tumorerkennung.“

Die Methode zielt ab auf Tumore des Kopfes und des Halses, die weltweit acht Prozent der Krebserkrankungen ausmachen. Sie werden mit HNSCC abgekürzt, was für Head and neck squamous cell carcinoma steht. Diese haben eine recht niedrige Überlebensrate von 50 bis 60 Prozent. In Deutschland gibt es etwa 14.000 Fälle pro Jahr. Die übliche Behandlungsmethode ist eine Operation. Hier beginnt das Problem, für das FlareOn Biotech eine Lösung anbietet.

An Kopf und Hals ist wenig Gewebe vorhanden. Schneiden Operateure zu viel Gewebe weg, kann es sein, dass die Patienten schwere Einschränkungen beim Schlucken, Sprechen oder Atmen haben. Wird zu wenig entfernt, wuchert der Tumor womöglich weiter. Das Tumorgewebe ist mit bloßem Auge nicht vom umliegenden Gewebe zu unterscheiden. Deshalb werden während der Operation mehrere sogenannte Schnellschnitte gemacht, die im Labor von Pathologen untersucht werden. Währenddessen steht die Operation bis zu einer Stunde lang still. Das erhöht nicht nur die Belastungen durch die Narkose für die Patienten, sondern auch die Kapazitäten der Ärzte bleiben gebunden. Kommt die Rückmeldung aus dem Labor, wird weiter operiert. Trotzdem bleibe die Fehlerquote hoch, zwischen zwölf und zwanzig Prozent der Patienten müssen nachoperiert werden.

Die Methode verkürzt die Zeit im OP

Das Produkt von FlareOn Biotech bringt Tumorzellen zum Leuchten, indem es auf einen bestimmten Stoff reagiert, der in gesunden Zellen nicht vorkommt. Dieser Prozess dauert etwa zehn Minuten, verkürzt die Zeit im OP also erheblich. Außerdem sorgt er dafür, dass an den Tumorrändern genauer geschnitten werden kann.

Das Verfahren befindet sich noch im Stadium der klinischen Studie. Dabei arbeitet FlareOn Biotech mit einer Firma namens PolyAn molecular surface engineering, der Universitätsklinik Köln, der Universität Würzburg, Diagnostikum Berlin und BioRegio Stern zusammen. Die eigentliche Firma in Frickenhausen ist recht klein und hat bis jetzt noch keine Homepage.

Das Verfahren sei einfach anzuwenden, lässt sich gut in die bestehenden Arbeitsprozesse einbinden, sei sehr zuverlässig und spare noch Geld, weil Ressourcen besser genutzt werden können. Deshalb rechnen Jehle und Herrmann damit, dass es sich durchsetzen wird und in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden kann. Das geschehe manchmal auch, wenn Ärzte Druck machen, dass ein Verfahren übernommen wird.

Der „Heilige Gral“ ist ein Spray

Das Verfahren sei eine Plattform-Technologie: Wenn diese eine Krebssorte damit erfolgreich behandelt werden kann, könnte es für weitere Krebsarten angepasst werden. In den nächsten zwei Jahren soll diese Technologie an den Markt gehen, dann könnten Gelder eingeworben werden, um am nächsten Mittel zu forschen. „Wir wollen unabhängig bleiben, also bleiben wir klein“, sagt Jehle. Die 200.000 Euro aus Pre-Seed sollen bis 2026 zurückgezahlt werden. Dann müsse das Unternehmen entweder neue Fördergelder beantragen oder einen Investor suchen. „So können wir unsere Zeit und Energie in weitere Forschung setzen“, sagt Jehle. Weitere Mitarbeiter werden noch gesucht, doch Leute mit dem entsprechenden fachlichen Profil seien rar.

Dann können Herrmann und Jehle das angehen, was sie als ihren „Heiligen Gral“ bezeichnen: Ein Spray, das während der Operation aufgetragen wird, die Krebszellen zum Leuchten bringt, die dann auf die Zellschicht genau abgetragen werden können. Bis jetzt kann die Methode nämlich nur bei bereits herausgeschnittenem Gewebe angewendet werden. Für den Einsatz am Menschen müsste das Verfahren noch einige Hürden nehmen. Der größte Aufwand sind die klinischen Studien.

„In der Krebsforschung gibt es kleine Schritte, um die Überlebensrate zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die Patienten eine höhere Lebenserwartung bei sehr guter Lebensqualität haben“, erläutert Jehle.

 

Das Pre-Seed-Förderprogramm

Start-up BW Pre-Seed ist ein Förderprogramm des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums und der L-Bank, mit dem Unternehmen in einer sehr frühen Phase ihrer Existenz unterstützt werden. Im Jahr 2024 wurden 47 Unternehmen in der oft schwierigen Frühphase ihrer Gründung finanziell unterstützt. Bei identischer Bewerberanzahl (73) waren es im Jahr davor 54.

Rund acht Millionen Euro wurden 2024 in Start-up BW Pre-Seed bewilligt. Die Fördersumme pro Unternehmen beträgt in der Regel 200.000 Euro, wovon das Land 80 Prozent übernimmt, ein Co-Investor trägt die restlichen 20 Prozent der Summe. Die Förderung kann auf maximal 400.000 Euro erhöht werden, sofern ein besonders hoher Liquiditätsbedarf besteht.

Gefördert werden Geschäftsmodelle in allen Landesteilen und aus den unterschiedlichsten Branchen. Der überwiegende Teil der geförderten Unternehmen – mehr als 60 Prozent – kommt aus dem IT-Bereich. Auch die Bereiche Medizintechnik, Maschinenbau und Erneuerbare Energien sind vertreten. Näheres unter www.startupbw.de.