Weilheim · Lenningen · Umland
Technik entfaltet poetische Kraft

Kunst Im ehemaligen Teckboten-Gebäude am Alleenring hat die Ausstellung „Drehmoment“ eröffnet: Zu sehen gibt es dort eine Installation Ralf Baeckers. Von Monika Läufle

Kunstexperte Winfried Stürzl fasst den ersten Eindruck provokant zusammen: „Die Menschen sind heute hergekommen und dachten, sie sehen Kunst. Jetzt sind sie überrascht.“ Knapp 40 Besucher haben sich zur Ausstellungseröffnung in der Kirchheimer Alleenstraße 128 eingefunden und lauschen gespannt, wie Stürzl im Gespräch mit dem Künstler Ralf Baecker die Installation beschreibt.

Überrascht sind die Gäste, weil Baecker nicht mit Farbe und Pinsel arbeitet. Seine Arbeitsmaterialien waren 1250 bewegliche Zeiger aus Plexiglas, die er auf einer zwei Meter großen quadratischen Fläche angebracht hat. Das Werk trägt den Namen „Putting The Pieces Back Together Again“. Zu deutsch bedeutet das „Die Stücke wieder zusammenfügen“.

Alle Zeiger werden mit derselben Geschwindigkeit angetrieben. Alle verhalten sich identisch. Ein Plättchen dreht sich so lange, bis es an ein anderes Plättchen stößt und dadurch seine Richtung ändert. Bei jedem einzelnen Zeiger ist nachvollziehbar, wie er sich verhält. Trotzdem wirkt das Gesamtbild zu Beginn chaotisch. Fast hypnotisierend. Es erinnert an Ameisenhaufen, an Vogelschwärme. Dazu das Brummen der 1 250 Motoren, die sich anhören wie ein wütender Bienenschwarm. Doch plötzlich stellen sich die Zeiger zu Parallelen und aus dem Chaos kristallisiert sich ein geometrisches Muster heraus.

Kann man wissen, wie das Gesamtbild in zehn Minuten aussieht? Wie verhält sich ein einzelnes Element innerhalb des großen Ganzen, in einem komplexen System ohne zentrale Steuerung? Mit Fragen wie diesen beschäftigte sich Baecker.

Die Rückseite ist offen

Das Kunstwerk dient auch als Metapher, da sich die Fragen auf andere Bereiche übertragen lassen. Auf die Physik, auf die Klimaforschung, sogar auf eine Dorfgemeinschaft. Wie verhält sich das Individuum im Bezug zur Gesellschaft und wie wirkt das eine auf das andere zurück? Einer, so der Künstler, beeinflusst das ganze System und kann einen Unterschied machen. Ist ein Teil kaputt, behindert es die anderen.

Baecker ist es wichtig, bei seinem Kunstwerk nichts zu verstecken. So hat er die Rückseite offen gelassen. Die Einladung, hinter das Kunstwerk zu treten und das „Innenleben“ zu betrachten, nehmen die Besucher gerne an.

Bei so vielen Motoren und Kabeln verwundert es nicht, dass sich Baecker schon als Kind für Technik interessiert hat. Als er erwachsen wurde, fand er immer mehr, dass Technologie nicht nur Werkzeug ist, sondern auch eine poetische Kraft besitzt. So folgte dem Informatikstudium eines der Medienkunst. Heute arbeitet er als Professor für experimentelle Gestaltung Neuer Technologien und hat seine Werke schon in Moskau und Peking ausgestellt. Und jetzt in Kirchheim. Dort reichen die Reaktionen bei der Eröffnung von „So was bräuchte ich nicht“ bis hin zu Begeisterung. Die meisten teilen die Meinung von Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker: „Das ist ein Kunstwerk, das es in sich hat.“