Was in der Coronapandemie Seltenheitswert hat, war auch in der guten alten Zeit nicht leicht zu bewerkstelligen: Familienbilder. Seit jeher zieren sie Wände oder Bücherregale und sind meist eher Staubfänger als Hingucker. Die vermeintlichen Hoffotografen haben es heute leichter. Musste früher das perfekte Abbild beim ersten Mal perfekt sein, kann das gewünschte Bild dank der Digitalisierung aus mehreren Motiven ausgesucht werden. Früher mussten die Familienmitglieder lange stillstehen, bis die Aufnahme endlich im Kasten war. Bei langer Belichtungszeit wurde das Bild unscharf. Das offenbarte allerdings erst die Entwicklung, wenn man die ersehnte Erinnerung als Foto in den Händen hielt. Heute klickt der Auslöser einfach mehrere Male, und das Resultat kann man direkt auf dem Monitor der Kamera begutachten.
Doch die ganze moderne Technik hat auch ihre Krux. Der Fotograf ist längst nicht mehr die Autorität, der man still Folge leistet. Hieß es früher noch „Aufs Vögelchen warten!“, gestaltet sich das Bild der Lieben heute sehr individuell. Der Stolz, auf einem Bild mit der Familie zu erscheinen, verflüchtigt sich, wenn man schon wieder in irgendeine Linse grinsen muss. Auch wer wo steht, ist ein Thema. Das Bestreben, sich ins rechte Licht zu rücken, kommt nicht von ungefähr. Wenn man sich heute schon ablichten lässt, spielt die eigene Eitelkeit eine immer größere Rolle.
Zudem gibt es fast bei jeder Fotosession einen Scherzkeks, der seinem Nachbarn zur Linken oder Rechten mit zwei Fingern schelmisch Hasenohren auf den Kopf zaubert. Und wenn dann endlich alle zum Bild überredet sind und passend stehen, fällt bestimmt noch kurz vor dem „Klick“ jemandem ein: „Oh, ich muss noch schnell aufs Klo.“