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Totholz ist ganz schön lebendig

Ökologie Viele Arten können ohne abgestorbene Zweige, Äste und ganze Bäume nicht existieren. Deshalb wirbt Rudolf Thaler vom Obst- und Gartenbauverein Bissingen für mehr Wildnis im Garten. Von Daniela Haußmann

Totholz ist ein Hotspot der Biodiversität. Vielen Lebewesen, die auf der Roten Liste stehen, finden in ihm einen Lebensraum. Auch in Bissingen stehen auf den Streuobstwiesen einige abgestorbene Bäume. Wobei totes Holz nicht nur im Offenland ein wertvolles Biotopelement ist, sondern genauso im heimischen Garten. Im Verlauf seiner Zersetzung, vom abgestorbenen, stehenden Baum bis zum umgefallenen Stamm, verändern sich fortlaufend die Lebensbedingungen. Sogenannte Erstbesiedler, darunter viele Moose, Flechten, Käferarten wie Bock-, Borken- und Prachtkäfer, aber auch Holzwespen und andere im und vom Holz lebende Arten leiten den Holzabbau ein.

 

Der ökologische Wert von Totholz kann gar nicht hoch genug angesetzt werden.
Rudolf Thaler
Vorsitzender des OGV Bissingen

 

„Sie zerfressen und durchlöchern die Rinde“, weiß Rudolf Thaler. „Ihre Larven lösen die Borke vom Holz und durchbohren es.“ Laut dem Vorsitzenden des Bissinger Obst- und Gartenbauvereins (OGV) entstehen dabei Bohrmehl, Kot, Häutungsreste, tote Larven und Kleinstlebewesen, die das Holz mit Nährstoffen anreichern, die weitere Arten anlocken, die das Holz besiedeln und weiter zersetzen. Dank der Vorarbeit von Erstbesiedlern und Spechten, die auf der Suche nach Nahrung den Stamm bearbeiten, entstehen Eintrittspforten für Insekten und Mikroorganismen. Hartes Holz und eine gesunde Rinde wären für sie unter normalen Umständen eine unüberwindbare Barriere. Ihnen spielen unter anderem Pilze zu, die Zellulose und andere Bestandteile zersetzen, wodurch das Holz immer weicher und morsch wird. Arten wie Nage-, Schwarz- und Schnellkäfer legen jetzt ihre Brut an, in den Fraßgängen entwickeln sich Fliegen- und Mückenarten, die sich laut Rudolf Thaler von Pilzen, Bakterien und abgestorbenem Material ernähren.

„Eine ganze Abfolge unterschiedlichster Arten und Lebensgemeinschaften findet über alle Stadien der Zersetzung hinweg im Totholz ein ideales Nist-, Entwicklungs- und Nahrungshabitat“, betont der OGV-Vertreter. „Manche Tiere, wie Marienkäfer, Hornissen, Igel oder Kröten, überwintern auch in ihm, während Fledermäuse und Steinkäuze vorhandene Hohlräume auch als Tagesversteck nutzen.“ Umso mehr bedauert Thaler, der auch Landschaftsführer beim Naturschutzzentrum Schopflocher Alb ist, dass Totholz in den Gärten rings um Bissingen rar geworden ist. „Dabei macht das abgestorbene Material kaum Arbeit und fördert sogar viele Nützlinge, die Schädlinge in Schach halten“, sagt er und findet: „Der ökologische Wert von Totholz kann in Zeiten des Insektensterbens gar nicht hoch genug angesetzt werden.“

Ähnlich sieht es die Deutsche Wildtier Stiftung: „Allein 25 Prozent aller in Deutschland vorkommenden Käferarten sind auf Holz verschiedener Zerfallsstadien angewiesen, etwa die Hälfte der totholzbewohnenden Käfer werden als bedroht eingestuft.“ Ein Grund mehr, über absterbende und tote Bäume im Garten nachzudenken. Jedem, der sich dazu entschließt, rät Thaler Krone und Stamm in Etappen so zu stutzen, dass keine Gefahr von ihnen ausgeht. Reisig, dicke Äste und anderes Material ließen sich am Fuß des Baums aufschichten. Manche Arten wie Hummeln und Wildbienen seien auf noch stehendes Totholz angewiesen, andere auf liegendes wie Ameisen, Springschwänze oder Milben. Bedrohte Vögel wie Halsbandschnäpper, Steinkauz, Wendehals und Wiedehopf würden in Höhlen von Altbäumen brüten. Deswegen ist es für Rudolf Thaler sinnvoll, sie lange zu bewahren. „Man kann sich für den Garten aber auch Holz verschiedener Baumarten besorgen“, so der Landschaftsführer. „Denn Kirsch-, Apfel-, Eichen- und Buchenhölzer werden von ganz unterschiedlichen Arten besiedelt.“

Bis totes Holz vollständig zersetzt ist, können viele Jahre vergehen – bei Bäumen sogar Jahrzehnte. Das sollte man sich bewusst machen. Es zu verbrennen, ist aus Sicht des OGV-Vorsitzenden ein enormer Verlust für die Biodiversität, weil es zahllose Larven und Eier vielfältigster Insektenspezies enthält. Bekannte von ihm aus Bissingen und Umgebung haben ihre Entscheidung, vor dem Haus Totholz als Biotop bereitzustellen, nie bereut. „Der Garten ist dadurch zu einem erlebnisreichen Logenplatz in der Natur geworden“, erzählt er. „Das freut auch Kinder, die mit Oma, Opa und Eltern rund ums Haus Tiere und Pflanzen entdecken können.“